Hochwasser 2002 Hochwasser 2002: Drama am Hundeplatz-Deich
Wörlitz/MZ. - "Es ist wie gestern." Das Gestern ist zehn Jahre her. Uwe Quilitzsch kümmert sich um Gäste der Kulturstiftung. Studenten aus Tallinn (Estland) besuchen das Gartenreich. "Es goss seit Tagen in Strömen, und wir bereiteten uns auf ein enorm starkes Hochwasser vor", erinnert er sich. Die ersten Sicherheitsvorkehrungen werden getroffen - im Luisium und im Gotischen Haus in Wörlitz stehen "Evakuierungsarbeiten" an. Es wird alles in die zweite Etage geräumt. "Es gibt aufgeregte Mitarbeiter und welche, die lachten und alles für völligen Blödsinn hielten", so Quilitzsch. Die TV-Bilder von der Flut in Sachsen werden interessiert verfolgt, mehr aber nicht.
Gefahr durch Dachse und Ratten
Und plötzlich steht die Katastrophe vor der eigenen Haustür - oder konkret vorm Deich am Wörlitzer Hundeplatz. Der ist durch Bisamratten- und Dachsbauten alles andere als stabil. Und das vermeintliche Hochwasser entpuppt sich als eine gigantische Flut. Im Moment der größten Not rückt das Gartenkunstwerk neu und überregional in den Blickpunkt. Gustav Seibt, Publizist in München, bangt in der "Süddeutschen Zeitung" um eine der "schönsten Utopien vom besseren Leben, die in Deutschland je entworfen wurden". Der Historiker Arnulf Baring teilte im "Tagesspiegel" mit: "Was mich am meisten bewegt, ist die Angst um das Wörlitzer Gartenreich."
Die Medienberichte bleiben nicht ohne Folgen. "Es kamen Hunderte Freiwillige aus der ganzen Republik, um mit uns gemeinsam Sandsäcke zu füllen. Zuerst haben wird sie noch zu voll gefüllt, so dass der Transport nicht einfach war", erzählt Qulitzsch, der selbst zur Schaufel greift - und das obwohl sein Arm noch Ruhe benötigt. "Ich habe mir von meinen Arzt den Gips entfernen lassen", so der Griesener.
Die Sandsäcke sollen den maroden Deich stabilisieren. Doch die Gefahr wird von Minute zu Minute größer. "Zeitweise zogen die Bundeswehr und das THW ihre Leute aus Sicherheitsgründen ab", erinnert sich Quilitzsch. Und plötzlich gibt es unerwartet Hilfe. Die Berufsfeuerwehr Braunschweig ist überraschend vor Ort. Insgesamt kommen etwa 400 Kameraden - rekrutiert von vielen umliegenden freiwilligen Wehren - zum Einsatz. "Wir kamen in einem aufgegebenen Bereich an. Der Deich am Hundeplatz war schon halbseitig weggespült", erinnert sich Wehrleiter Michael Hanne, der Vertreter des Katastrophenstabes des Kreises Anhalt-Zerbst vergeblich sucht. So richtet er selbst eine Einsatzleitung auf dem Wörlitzer Marktplatz ein und informiert über die Situation seinen Auftraggeber.
Die Meldungen, die Braunschweigs Oberbürgermeister Gert Hoffmann (CDU) erhält, beunruhigen das Stadtoberhaupt. "Das waren dramatische Telefonate", sagt er heute. Und so streicht er vor zehn Jahren alle Termine und eilt in die Gefahrenzone direkt zum Hundeplatz. "Das Wasser floss schon durch den Deich", erinnert er sich und findet auch heute kaum Worte, um die Situation ("irre, extrem dramatisch") zu beschreiben. Wenn der Deich bricht, wären "alle weg gewesen". "Ich war geschockt. Dabei war ich nur drei Tage zuvor in Wörlitz, um gemeinsam mit Altkanzler Helmut Kohl fürs Gartenreich zu werben", so Hoffmann.
Happy end "mit Gottes Hilfe"
Doch im August 2002 geht es nur noch um die nackte Existenz. Die Einwohner und ihre Helfer kämpften laut Hanne "bis zur Erschöpfung". Und das Wunder geschieht: Der Deich hält - "mit Gottes Hilfe", so Quilitzsch. Tatsächlich gibt es geistlichen Beistand: MZ-Bilder zeigen den Wörlitzer Pfarrer Thomas Pfennigsdorf an der Wasserfront: beim Sandsäcke-Stapeln auf dem Deich. Ob sich solche Aufnahmen wiederholen? Da gehen die Experten-Meinungen weit auseinander. Schließlich hat das Land nach der Flut Millionen Euro investiert. "Aber wir machen das Wetter nicht", so Quilitzsch, der auf das Wort von der Jahrhundertflut verzichtet. "2002 hat das Jahrhundert ja gerade erst begonnen", sagt er.
Lesen Sie am Samstag über die Folgen des Seegrehnaer Deichbruchs. Was ist aus den zerstörten Häusern geworden?