Historie Historie: Seltene Aufnahmen aus der Kriegszeit in Wittenberg

Wittenberg - „Ein Fotoalbum ist eigentlich nichts Besonderes. Aber das hier ist eins, wie ich es noch nie gesehen habe.“ Eine Schenkung aus Berlin, die jüngst die Lutherstadt erreichte, hat es Andreas Wurda, Leiter der Städtischen Sammlungen in Wittenberg, angetan. „Erlebnisbericht von Kurt Wießner 1942 - 1945“ steht auf der Innenseite, was dann folgt, sind einzigartige Ansichten aus dem Wittenberg der 40er Jahre. Aufnahmen markanter Straßen und Gebäude fallen dabei als erstes auf.
Die Mittelstraße mit der Stadtkirche im Hintergrund, ein Blick von der Stadtkirche zum Markt hinunter, der Röhrwasser-Brunnen im Hof von der Schlossstraße 10. Kinder spielen neben einer der historischen Grabplatten der Stadtkirche auf dem Kirchplatz, Menschen betrachten die Auslagen der Buchhandlung Senf, ein Pferd in der Bürgermeisterstraße labt sich aus einem umgebundenen Hafersack. Was Wurda jedoch ins Schwärmen bringt, sind Fotografien wie die des Arsenalplatzes von 1938, „wie wir sie noch nie hatten“.
Die Städtischen Sammlungen kümmern sich auch um Ausstellungen sowie u. a. um das Objekt „Historische Stadtinformation“ in der vormaligen Klosterkirche (Arsenalplatz). Auf 1500 Quadratmetern wird die Geschichte der Askanier in Szene gesetzt und informiert, welchen Einfluss sie auf den mitteldeutschen Raum genommen haben. Als bauliche Illusion ersteht dabei die Klosterkirche neu. Geöffnet ist die „Historische Stadtinformation“ Dienstag bis Sonntag von 9 bis 17 Uhr.
Und er hat schon viele Fotos gesehen. Auf einer Aufnahme der Schlossstraße ist der Schornstein der Mühle am Schlossplatz noch zu sehen. Die Kellerfenster des Rathauses tragen einen Splitterschutz aus Beton. Mittendrin immer wieder der Alltag jener Zeit: Der Hochzeitswagen fährt am Kirchplatz vorbei, an der Probstei wird die Ernte eingefahren, Leute holen sich Eisblöcke für ihre Eisschränke aus der Bürgermeisterstraße. So war das damals, als der Kühlschrank noch nicht mit Kühlkreislauf, sondern dank eines großen Eisblockes funktionierte - der natürlich immer wieder erneuert werden musste.
Ob besagter Kurt Wießner ein Hobbyfotograf oder Profi war, wird sich kaum mehr feststellen lassen. Wie auch immer, er hatte ein gutes Auge für die Szenen, die sich ihm boten. Das Fotoalbum hat Renate Neumann aus Berlin der Stadt geschenkt, sie ist die Großcousine von Wießners Tochter. Sie hatte bei Bürgermeister Jochen Kirchner angefragt, ob die Stadt das Album, das sie im Nachlass gefunden hat, haben möchte. Nach ihren Informationen war Wießner, geboren 1908 in Berlin, Techniker und Ingenieur und in dieser Eigenschaft offenbar auch in Wittenberg tätig. Ein Foto aus der Kasematte am Brückenkopf, das ihn dort an einem Tisch zeigt, lässt vermuten, dass er beim Militär tätig war.
Doch nicht nur Wittenberger Aufnahmen machen das Album einzigartig. Es gibt neben einigen Aufnahmen aus Kemberg, Bad Schmiedeberg und Dabrun, die offenbar bei Ausflügen gemacht wurden, auch Fotos aus Dessau. Elf an der Zahl sind es, sie zeigen unter anderem das Schloss, das Leopold-Denkmal auf dem Schlossplatz, den Rathausturm und den Werfthafen. Bilder aus einer Zeit, bevor die Bomben im Zweiten Weltkrieg die Stadt in Trümmer legten.
Andreas Wurda jedenfalls ist begeistert. „Aus der Zeit, vor allem den Alltag, gibt es sonst nichts“, sagt er. Und klappt den seltenen Band vorsichtig wieder zu. (mz)