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Gummisahne mit «Ohrenschmalz»

Von DÖRTE REISENER 05.03.2009, 19:08

WITTENBERG/MZ. - Nachdem in Wittenberg in Zusammenarbeit mit dem Theaterjugendclub "Chamäleon" schon außergewöhnliche Projekte zum Fest entstanden, war nun das Hotel Best Western Stadtpalais in der Lutherstadt Gastgeber für ein Programm mit Schlagern aus dem Berlin der 20er und 30er Jahre, dargeboten vom Trio "Ohrenschmalz".

Durch den Magen

Bevor jedoch die ersten Melodien erklangen, gab es Kostproben aus der hoteleigenen Molekularküche, in der nichts ist, wie es scheint. Die mutmaßliche Tomatensuppe zur Vorspeise war - Überraschung! - aus Schwarzwurzeln hergestellt, die mit Sepia kräftig eingefärbt waren. Zu solchen Kniffen greift die Molekularküche, die auch ein großer Sinnesspaß ist.

Nach der Vorspeise kam "Ohrenschmalz" aus Berlin zum Zug. Auch hier deutete einiges auf Überraschungen hin, als Julius Hassemer (Gesang) das Publikum mit den Worten: "Wart'n se mal, wat wir so mit se vorhaben", begrüßte. Zwar studieren er und seine Ensemblepartner noch, dennoch treten sie schon seit sechs Jahren regelmäßig zusammen auf.

Für den Abend hatten sie ein Repertoire zusammengestellt, das besonders für ihre Besetzung (Sänger, Klavier und Geige) geeignet ist. Natürlich fehlten auch Stücke von Weill nicht, wobei der Mackie-Messer-Song in durchaus eigener Interpretation gut gefiel. Besser noch waren die für das so sorglos-ungezwungen wirkende Trio ausgesuchten Chansons wie "Hallo, was machst Du heut', Daisy?", ganz süß auch Rudolf Nelsons "Das Nachtgespenst" oder von Otto Reutter "Das ist leicht, das ist schwer". Trefflich wurde der Look der 20er Jahre getroffen, einfach unvergleichlich der Blick Stefan Haberfelds - von der Tastur des Flügels abgewandt zu den Gästen; zu Herzen gehend die schöne Stimme von Julius Hassemer und charmant das laszive, schmeichelnde Geigenspiel des "Engels" unter den "zwee Bengels", Angelika Feckl.

Nicht verborgen blieb eine gewisse Nervosität, die sich bei dem Trio trotz der regelmäßigen Präsentation seiner Programme im Berliner Admiralspalast nun zum Auftritt beim renommierten Weill-Fest eingestellt hatte. Hassemer mangelt es noch an Souveränität, die man bei einem Conférencier durchaus voraussetzen kann. Auch die verbindenden Texte wirkten nicht immer glücklich.

Musikalisches Bonbon

Ausnahmslos gut gelangen dagegen die Lieder Otto Reutters und dass selbst Titel wie "Ein bisschen Leichtsinn kann nicht schaden", den schon die Comedian Harmonists sangen, nicht fehlten, ist für ein Programm wie dieses ein kleiner Bonbon. Ein Geheimnis bleibt es am Ende aber doch, warum gerade jetzt die Musik dieser Zeit wieder so populär ist oder warum sich eine Reihe von Musikern der jüngsten Generation ihrer Interpretation verschreibt und damit großes Vergnügen bereitet - so wie das Trio "Ohrenschmalz" mit seiner Zugabe, dem Harmonists-Lied: "Wenn ich vergnügt bin, muss ich singen".

Nicht nur Zugabe sondern Höhepunkt der Neugierde bei den tafelnden Gästen des Abends war schließlich das Dessert aus der Molekularküche: Süße Köstlichkeiten wie im flüssigen Stickstoff geeiste Kaugummisahne, farbiges Gin-Tonic-Gelee, Mousse von weißer Chilischokolade und warme Schokoladen-Ravioli mit Frischkäsefüllung. Während jedoch diese lukullischen Genüsse in Wittenberg regelmäßig probiert werden können, neigt sich das Kurt-Weill-Fest 2009 seinem Ende entgegen. Am Sonntag findet im Anhaltischen Theater Dessau das große Abschlusskonzert statt.