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Energiesparendes Gebäude  Grüner Bahnhof in Wittenberg eröffnet. Effizienz und Ökologie an einem Ort oder doch nur Imageträger der Bahn?

Von Alexander Schierholz 10.12.2016, 11:00
Das Bahnhofsgebäude in Wittenberg
Das Bahnhofsgebäude in Wittenberg Thomas Klitzsch

Wittenberg - Wenn der Ministerpräsident zur Eröffnung eines Bahnhofs eilt, dann muss der schon etwas Besonderes sein.

Reiner Haseloff, CDU, steht auf einer kleinen Bühne auf dem Wittenberger Bahnhofsvorplatz, vor sich mehrere Hundert Menschen unterm grauen Himmel. Sachsen-Anhalts Regierungschef, gläubiger Katholik, ist fast am Ende seiner Rede angelangt, da bemüht er das Leitmotiv der Kirchen „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“. Und sagt dann: „Die Bewahrung der Schöpfung haben wir mit diesem grünen Bahnhof hier in Wittenberg manifestiert.“

Große Worte, großer Bahnhof. Und genau um den geht es hier: Wittenberg hat seit Freitag einen neuen Bahnhof, genauer: ein neues Empfangsgebäude, wie sie das bei der Bahn nennen. Rechtzeitig vor dem Reformationsjubiläum ist der Bau fertig geworden. Na und, könnte man jetzt sagen: Ist doch nur ein Bahnhof. Stimmt. Und auch wieder nicht. Hinein geht es vom Bahnhofsvorplatz. Drinnen: ein Bäcker, ein Buchladen, ein Kundenzentrum. Eine elektronische Anzeigetafel, ein Geldautomat, Schließfächer, eine Sitzgruppe mit USB-Anschlüssen für Laptop, Smartphone und Co. Drumherum: Klinkerwände und viel Glas. Schick, modern - und eher unspektakulär.

Deswegen gibt es den Bahnhofstyp in Wittenberg in dieser Form nur zwei Mal in Deutschland

Das Geheimnis des neuen Wittenberger Bahnhofs liegt vielmehr im Gebäude selbst, auf dessen Dach und in der Erde: Willkommen im ersten „Grünen Bahnhof“ Sachsen-Anhalts, dem zweiten in Deutschland nach Horrem in Nordrhein-Westfalen.

„Grüner Bahnhof“ - so nennen sie bei der Deutschen Bahn eine neue Generation von Bahnhofsgebäuden, die sich selbst mit Energie versorgen sollen. Die Baustoffe stammen laut Bahn überwiegend aus der Region, sogar der verwendete Beton wurde CO2 -neutral hergestellt. So also erklärt sich Haseloffs Rückgriff auf die „Bewahrung der Schöpfung“.

Diese ökologische Toilettenspülung gibt es im neuen Bahnhofsgebäude in Wittenberg

Bahn-Vorstand Ronald Pofalla preist die Wittenberger Station als „den klimafreundlichsten Bahnhof in Deutschland“. Möglich machen sollen das eine Photovoltaik- und eine Erdwärmeanlage. Sie sollen die notwendige Energie für Beleuchtung, andere elektrische Anlagen, Heizung und Belüftung liefern. Die Toiletten werden mittels versickerten Regenwassers gespült. Große Glasflächen, nach Angaben der Bahn 57 Prozent der Außenhülle des Gebäudes, sollen Tageslicht einfangen.

Kann das in heißen Sommern nicht zu warm werden? Abwarten, meint Bahnhofsmanagerin Cornelia Kadatz. „Auf ein zusätzliches Oberlicht im Dach, wie beim ,Grünen Bahnhof’ in Horrem, haben wir verzichtet.“ In Horrem habe sich das Gebäude im Sommer mehr als gewünscht aufgeheizt. Für gutes Klima und Kühlung an heißen Tagen solle aber auch ein Gründach sorgen, sagt Kadatz.

Das allerdings gibt es noch nicht, der Jahreszeit geschuldet. Bisher liegen nur Kieselsteine auf 230 Quadratmetern Dachfläche, dahinter sind die Solar-Module installiert.

Klaus Hiltrup schaut sich das alles an, wie andere Besucher ist er eine Eisentreppe im Gebäude empor aufs Dach gestiefelt. „Schön geworden“, sagt er und meint nicht nur die Kieselsteine und Solar-Anlagen, sondern den gesamten Bahnhof. Hiltrup, 75, ist ein kleiner Herr im grauen Wintermantel mit schwarzer Pelzmütze, der ein verschmitztes Lächeln im Gesicht trägt. Zu Wittenberg hat er eine ganz besondere Beziehung. Zehn Jahre lang, von 1996 bis 2006, war er als Bahnhofsmanager in Bitterfeld auch für die Station in der Lutherstadt verantwortlich. „Wir haben uns immer bemüht, das Beste aus den Bahnhöfen zu machen“, sagt er. Es sei schön zu sehen, wie weiter investiert werde.

Grüner Bahnhof - nur ein Imageträger?

Der Deutschen Bahn geht es mit den „Grünen Bahnhöfen“ nicht nur um Klimaschutz und ums Energiesparen. Sondern auch ums Image. Bis 2020 will der Konzern ein ökologisches Vorzeigeunternehmen werden, mit leisen Güterwaggons, Lärmschutzwänden und Ökostrom.

Schon seit Jahren wirbt die Bahn, dass Bahncard-Inhaber in den ICE-Zügen mit Strom aus erneuerbaren Energien fahren, mithin klimaneutral. Kritiker wie Umweltverbände halten das allerdings für „Greenwashing“, also das Umhängen eines grünen Mäntelchens. Sie verweisen darauf, dass der von der Bahn eingekaufte Ökostrom anderswo im deutschen Stromnetz fehle. Im Nahverkehr, den die weitaus meisten Bahnkunden nutzen, gilt das Ökostrom-Versprechen ohnehin nicht. Dort fahren viele mit Dieselkraftstoff betriebene Züge. (mz)