Geschichte in Wittenberg Geschichte in Wittenberg: Zeitaufwändiges Beyamt

wittenberg/MZ - Spätestens nach Kommunalwahlen werden die Leiter der Ortsfeuerwehren neu berufen und feierlich vereidigt. Einzig die Stadtwache geht leer aus, obwohl sie im Wittenberger Stadtbild nicht weniger präsent ist als die Feuerwehr. Nicht selten geleitet sie „hochgelahrte Professores und Herrschafften“, sogar Bundespräsidenten und gerät so mühelos auf jedes Pressefoto, aber ihre Männer üben kein hoheitliches Amt mehr aus, sondern „nur“ ein Ehrenamt im eingetragenen Verein.
Klare Aufgabenverteilung
In früheren Zeiten war die Stadtwache ein offizielles „Beyamt“ der Stadt. Sie war Ordnungsamt, Feuerwehr und Torwache zugleich. Professor Heinrich Heubner verglich die Wittenberger Ratsakten mit den Einträgen im Ernestinischen Gesamtarchiv in Weimar zur Aufgabenverteilung der Wittenberger Stadtwache mit den kurfürstlichen Wachen auf dem Wall. Wer hatte welche Aufgaben zu erledigen? Eine Ratsakte vom 18. Oktober 1543 zum „Abschied zwischen dem Ambtmann und der Stadt Wittenberg“ gewährt Einblicke in die Aufgabenverteilung zwischen Stadt und kurfürstlichem Amt. Im Alltag fand die Arbeit der Stadtwache demnach vorrangig an den Stadttoren statt und war auch personell exakt geregelt (der Lesbarkeit halber wurde die Sprache im Folgenden leicht angepasst):
Die Nachtwachen in der Stadt hat der Rat mit „redlichen, nichtern (nüchternen!) und vernünftigen Leuthen stadtlich zu stellen“. Ebenso hat die Stadt am Tage die Wachen unter den Stadttoren mit zuverlässigen Leuten zu besetzen, je einen Mann unter dem Tor, einen zweiten am äußersten Schlag und der Schranke. Sie dürfen Fremde nur auf ihren Ausweis oder Bürgschaft eines Bürgers einlassen. Ferner hat die Stadt Tag und Nacht die Stadttürme mit Wächtern und Hausleuten zu besetzen und diesen die „Losung oder das Geschrey“ (Feldgeschrei) mitzuteilen.
Exakter Zeitplan
Die äußeren und inneren Stadttore, zu denen der Rat die Schlüssel hat, haben die Stadtwachen auf- und zuzuschließen. Die Tore sind von Ostern bis Pfingsten früh um 4 Uhr auf-, um 8 Uhr abends zuzuschließen. Von Pfingsten bis Bartholomä (24. August) um ½ 4 bis 9 Uhr, von Bartholomä bis Michaelis (29. September) um 5 Uhr bzw. 7 Uhr, von Michaelis bis Fastnacht von 6 Uhr bis 5 Uhr, von Fastnacht bis Ostern um 7 Uhr bis 5 Uhr nachmittags. Es darf aber nur auf- und zugeschlossen werden, wenn der vom Kurfürsten bestellte Wachtmeister und die Wallwächter draußen sind. Sollen die Tore geschlossen werden, hat der Wachtmeister die Wachen rechtzeitig an die Tore zu führen und nach deren Schluss an die Wache. Gleichwohl hat er beim Aufschließen zu verfahren, „damit Schade und Nachtheil durch Gottes Gnade soviel möglich verhütet sein möchte“.
Vor Toresschluss soll eine gute Viertelstunde geläutet werden, damit die Leute vom Felde und wer sonst noch rechtzeitig hinein kommen. Den Schlüssel zu den Schlägen auf den Gräben hat der Hauptmann den äußersten Torwächtern zuzustellen, damit sie „dem Amt, dem Rat und Bürgern zu ihrer Nothdurft auffschließen können“, doch darf niemals Fremdes durchgelassen werden. Zur Erledigung der großen Notdurft durften Wittenberger Bürger auch nach den Schließzeiten vor die Tore, Fremde hatten dagegen Pech...
Die Stadtwache hatte also an den Stadttoren eine wichtige Funktion. Zugleich erkennt man an den Schließzeiten, dass Bürger beim Holz schlagen oder der Feldarbeit außerhalb der Stadt aufmerksam sein mussten, um rechtzeitig zurück in die Festung zu kommen. Als Zeitmesser diente einzig der Sonnenstand oder der Glockenschlag der Turmuhr, spätestens das Abendgeläut.
1663 wendet sich der Rat nach dem Tod des Hauptmanns der Feuerwehr und zugleich Chefs der Stadtwache, Magister Carl Siegmund Henning, an den Kurfürsten und schlägt für beide Ämter als Nachfolger Johann Gottfried Kerbs vor. Der Stadtschreiber formuliert im Auftrag des Rates höchst ergeben und weitschweifig. Nach dem „Absterben“ des bisherigen Chefs von Feuerwehr und Stadtwache hat sein bestellter Nachfolger das Amt willig übernommen und bislang mit viel Mühe und Sorgfalt verwaltet, so dass er nach seiner Probephase vom Kurfürst auf Dauer bestätigt werden sollte. Sicher war dieses „Beyamt“ mit einem Salär versehen, Summen werden leider nicht genannt. Der Brief zählt einige Tätigkeitsmerkmale auf (siehe „Security und Studentenspott“).
Viel Verdruss
Dabei hatte dieser Ehrenbeamte – ein von der Bürgerschaft bestellter Hauptmann – trotz großen Zeitaufwandes viel Verdruss zu ertragen, weil die Bevölkerung den Kommandos und den Anordnungen der im „Solde stehenden Miliz“ wohl eher zu folgen bereit war als einem Mann der Stadtwache... Die heutige Stadtwache wird bis 2017 noch zahlreiche öffentliche Auftritte absolvieren. Immerhin bleibt ihr das Aufschließen der Tore zur Verrichtung der Notdurft erspart.