Geschichte Geschichte: Ein wüstes Dorf im tiefen Fläming
Stackelitz/MZ. - Sie fällt nicht auf, die Hinweistafel des Naturparks Fläming. Und wer auf der Landstraße 120 von Stackelitz in Richtung Norden fährt, ist nach der Bahnunterführung schnell an der unauffälligen Einfahrt vorbei. Selbst ein aufmerksamer Blick von der Straße lässt nicht ahnen, welch spannende Geschichte der Wald birgt, in dem die Wüstung Schleesen liegt.
Genügend Brennholz vor der Tür
"Sehen Sie das?", fragt Jürgen Brandt und zeigt in den Wald hinein. "Die Bäume sind sehr groß und hoch, der Boden ist fruchtbar und das haben die damals schon erkannt", erklärt er. Mit "damals" spricht Brandt von der Zeit vor der ersten urkundlichen Erwähnung der Siedlung 1307. Mit "die" sind Slawen gemeint. Im Slawischen bedeutet Schleesen soviel wie "Haus hinterm Wald" und viel mehr als ein Haus wird hier zunächst nicht gewesen sein. Zumindest aber hatte dieses genügend Brennholz vor der Tür und auch Wasser - mal mehr, mal weniger.
Auf einem Weg geht es nun tiefer hinein in den Wald und schließlich auf eine Lichtung. "Wir haben hier in der Gegend zwar viele Wüstungen, aber Schleesen ist besonders, denn man kann die Dorfstruktur noch erahnen." Die Vertiefungen des Dorfgrabens sind mit einem entsprechenden Hinweis deutlich zu erkennen. Auf der umgebenen Fläche von rund 300 mal 300 Metern gibt es zudem weitere Vertiefungen: "Ich habe hier neun Kellergruben gefunden", sagt Jürgen Brandt und breitet eine Karte aus, auf der Parzellen, ehemalige Wege und der Graben eingezeichnet sind.
Leben ohne fließendes Wasser
Zu seiner Beschäftigung mit der Wüstung kam Brandt auf Umwegen. Nach der Wende hatte er Revierförster werden wollen, wäre dafür aber zu alt gewesen. Er schulte zum Bauzeichner um, macht dann sein Abitur nach und studierte. Das Oberflächenprofil der Wüstung hat er für sein Diplom als Ausgrabungstechniker im Jahr 2007 erstellt.
Bei der Vermessung hat er sich auch die Umgebung angeschaut: im Norden Wiesen, landwirtschaftliche Flächen im Süden, im Osten bergiger Wald. Aber nirgends ein Bach: "Das Hauptproblem war Wasser, im Winter zu viel und im Sommer zu wenig. Es gab heute wie damals nur stehendes Wasser." Und das war wohl Grund genug, die Siedlung aufzugeben. Schon 1450 wurde sie als "wüst" bezeichnet.
Bis dahin war das Land am Ende des 14. Jahrhundert von Albrecht I. noch den Herren von Walwitz zugesprochen und gegen Ende der Besiedlung eine Kirche gebaut worden. In der sollen die Medewitzer während des 30-jährigen Kriegs Schutz gesucht haben, kurz darauf wurde sie zerstört. Gruselgeschichten über den Ort waren später in Umlauf, die zugewucherte Kirchenruine umgeben von raschelndem Waldes spornt die Fantasie an.
Erst Straßen- , dann Eisenbahnbau
Um 1870 begann der planmäßige Straßenbau und blieb für die Wüstung Schleesen nicht ohne Folgen: "Dass die Straße hierher so holprig ist, deutet auf Kopfsteinpflaster unter dem Belag hin", sagt Brandt. Er vermutet, dass ein Großteil eben dieser Steine aus der Wüstung stammt. Zu viele Steinen fehlen hier und wurden da gebraucht.
Einen weiteren Einschnitt erlebte die Wüstung während des Eisenbahnbaus 1923, beim Blick auf die Kirchruine irritiert zurecht eine Betonsäule mit Armierung an der nördlichen Außenkante: "Das verwendete Material ist das gleiche wie bei der Bahnbrücke. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Kante während des Eisenbahnbaus abgestützt wurde", erklärt Brandt. Offen bleibt die Frage, warum soviel Aufwand für den Erhalt einer Ruine betrieben wurde. Übrig ist vom Kirchenbau nur noch der Westgiebel mit seinen mehr als 3 000 Steinen und Reste des Fundamentes. Zuletzt war während eines Sturms 1972 eine Kiefer auf die Ostwand gestürzt "und das war's dann".
Eine Ofenanlage hat Brandt ebenfalls auf dem Gelände gefunden, in den Gruben liegen noch Scherben und so manche Frage ist bislang offen. Wohin die Kirchenglocke verschwand und was vielleicht am Grund des alten Brunnens liegt. Als ehrenamtlicher Bodendenkmalpfleger betreut er das Gelände und kann nicht leugnen, nach seine Messungen mit dem Magnetometer gern mal einen genaueren Blick unter die Oberfläche werfen zu wollen. So ruhig wie das Gelände heute wirkt, war es hier nie und die Spurensuche ist längst nicht zu Ende.