Geschäft schließt in Wittenberg Geschäft schließt in Wittenberg: Bei "Schnorpel" geht das Licht aus

Wittenberg - Im jugendlichen Alter von 15 Jahren habe er sich in dem kleinen Laden die ersten Zigaretten gekauft. Inzwischen dürfte der grauhaarige Herr die 70 weit überschritten haben. Dem Rauchen fröne er schon lange nicht mehr, zu „Schnorpel“ in die Coswiger Straße in Wittenberg geht er zum Beispiel wegen der Poststelle, die sie dort haben.
Noch, muss man sagen und um genau zu sein, auch nur noch wenige Stunden. Denn am Dienstag ist bei „Schnorpel“ der letzte Verkaufstag und bereits gegen Mittag, erzählt Madeleine Tann, wird das Terminal der Deutschen Post AG geschlossen.
Tann ist eine zierliche Frau mit längerem dunklen Haar. Ihr Mann Rainer Tann, wie sie 50, betreibt (im Rahmen einer GbR) den Laden, aber jetzt ist Schluss. Dass die Kaufkraft zurückgegangen sei, sagt Madeleine Tann zur MZ, sie betont aber auch: „Diesen Zustand wollte keiner.“ Immerhin verlieren mit der Schließung auch zwei Angestellte ihren Arbeit, eine von ihnen ist sie selbst.
Tatsächlich, das berichtet Rainer Tann, der in der Juristenstraße einen Akku-Laden führt, hätten sie ein Jahr nach einem Nachfolger für den Shop in der Coswiger Straße gesucht. Zuletzt habe es gar nicht mal so schlecht ausgesehen, demnach hätte sich ein Wittenberger Händler für die Übernahme interessiert.
„Und dann kam Corona“, sagt Tann, was wohl heißen soll, dass die wirtschaftliche Lage seither noch diffiziler ist und das, obwohl sie nicht zuletzt in ihrer Funktion als Postfiliale weiter öffnen durften.
Enormer Rückgang
Laut Rainer Tann ist der Umsatz seit 2016 um 50 Prozent eingebrochen. Die Gründe sind womöglich vielfältig, einer sei, dass viele ältere Menschen, die im Umfeld gewohnt haben, „weggestorben“ sind. Aber auch die Rahmenbedingungen in der Altstadt seien alles andere als ideal.
Exemplarisch benennt er die Parkplatzsituation. Der Einwand, dass auch andere Städte im Prinzip autofreie Zentren haben, verfängt nicht. Tann verweist statt dessen auf die Peripherien der historischen Altstadt, zu denen zumindest im relevanten Bereich auch die Coswiger Straße gezählt werden kann: „Da „funktioniert nichts mehr.“
Dass sein eigentliches Hauptgeschäft in der Juristenstraße läuft, habe auch in erster Linie mit der Firmenkundschaft zu tun, sagt Tann. Dorthin, also zu „Akkufit“, will er übrigens den Lotto-Bereich aus der Coswiger übernehmen, die Rede ist von „ab übernächster Woche“.
Dieser Lotto-Bereich lief, ähnlich wie die Postfiliale und die besonders zu Fest- und Feiertagen, ganz gut, sagt Madeleine Tann, die am Montag, ihrem vorletzten Verkaufstag, bereits die Zeitungs- und Zeitschriftenregale leergeräumt hat.
Am besten hätte jedoch die Tabakabteilung funktioniert, auch Spirituosen, die sie in den alten Wandregalen offerieren, haben sich offenbar gut verkauft. Die Regale sind tatsächlich alt, denn unter dem Namen „Schnorpel“ wird an dieser Stelle in der Coswiger Straße laut Tann seit 80 Jahren Handel getrieben.
Ein Treffpunkt
Bevor das Licht dort endgültig ausgeht, muss Madeleine Tann noch „zählen“, wie sie es nennt. Man könnte vielleicht auch von einer allerletzten Inventur sprechen. Darin nicht enthalten sein werden jene Frauen und Männer, die dem Anschein nach im Umfeld leben und für die der kleine Laden auch so etwas wie ein sozialer Treffpunkt war, in dem sie mal reden konnten.
„Mir tut es vor allem um die Rentner leid“, sagt Madeleine Tann, die mit der Schließung des Geschäfts selbst auch etwas Positives verbindet: Sie wird, sagt sie zur MZ, mehr Zeit für die kleine Tochter haben, diese geht in die erste Klasse, das heißt auch, das Mädchen kann derzeit coronabedingt die Grundschule nicht besuchen.
Derweil läutet am Vormittag dieses 27. April recht häufig die Türglocke bei „Schnorpel“. Einer der Kunden ist der erwähnte grauhaarige Herr. Dass er noch mal wiederkommen will, sagt er. Und überlegt doch schon, in welche Postfiliale er ab morgen gehen wird. (mz)
