Fachtag zum Thema Kinderschutz Fachtag zum Thema Kinderschutz: Hilfe anzunehmen fällt nicht immer leicht

wittenberg - Ist es nur ein blauer Fleck, weil sich das Kind gestoßen hat, oder hat jemand zu fest zugegriffen? Warum hat ein Kind niemals Frühstück mit in der Schule? Fragen dieser Art stellen sich täglich Menschen, die beruflich mit Kindern zu tun haben, ob sie nun in Kitas, Schulen oder Beratungsstellen arbeiten. Aber wo beginnen Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern? „Da gibt es immer noch viele Unsicherheiten“, weiß Michelle Heinze. Die junge Frau ist Netzwerkkoordinatorin Kinderschutz und frühe Hilfen beim Landkreis Wittenberg, seit Anfang 2014 ist sie im Amt. Am Mittwoch organisierte die Psychologin den Kinderschutzfachtag „Keine Angst vor Kinderschutz“.
Aufklärungsbedarf ist groß
„Hätte ich gewusst, wie groß der Zuspruch ist, hätte ich einen größeren Raum gemietet“, sagt Heinze. So musste sie nun aber Absagen erteilen, denn in der Aula des Bildungszentrums Lindenfeld sind alle 120 Plätze mit Erzieherinnen, Lehrern, Hebammen und Mitarbeitern der Kinder- und Jugendhilfe restlos besetzt. Heinze freut sich über das Interesse, das ihr aber auch Zeichen dafür ist, dass derartige Angebote wohl öfter unterbreitet werden müssten, denn der Aufklärungsbedarf sei groß. Beispielsweise beim Erkennen früher Anzeichen von Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern. Psychotherapeutin Gabriele Koch hält darüber ein Impulsreferat, „Alles was Recht ist“ hat Rechtsanwalt Christian Bartsch seinen Vortrag überschrieben, der rechtliche Fragen des Kinderschutzes behandelt. Für alle Teilnehmer folgen gestern Workshops, die den Kinderschutz aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Da geht es um Gesprächsführung mit Eltern und Kindern, um medizinische Aspekte, um Strukturen und Abläufe im Jugendamt oder auch um Kinderschutz und Migration. Letzteres ist Michelle Heinzes Workshopthema und sie konnte dafür einen syrischen Familienvater gewinnen, der derzeit in der Grieboer Unterkunft lebt. „Er gibt uns Einblicke in die familiäre Lebenswelt seiner Heimat. Das wird uns in Zukunft mehr beschäftigen“, sagt Heinze.
Die Psychologin ist mit ihrem Netzwerk der verschiedenen Hilfsangebote oft die erste Ansprechpartnerin für Betroffene. Mit dem Aufbau der AG „Kinderschutzakteure im Dialog“ ist ein breites Bündnis von Fachleuten entstanden, die bereits zwei Kinderschutzstammtische organisierten.
Dankbar für Hilfe
„Auch für uns sind dieses Netzwerk und die Koordination eine große Hilfe“, findet Julia Koch vom Jugendamt. Das käme meist zum Zuge, wenn Hilfsangebote ausgeschlagen oder nicht wahrgenommen werden, dann könne man auch Zwangsmaßnahmen und gerichtliche Anordnungen nicht vermeiden. Zumeist, und das macht Heinze und Koch froh, nehmen die Eltern die Hilfen jedoch gerne an. „Der erste Schritt bis dahin dauert zwar, aber dann sind sie dankbar“, hat Julia Koch beobachtet. „Alle Eltern wollen im Grundsatz gut sein“, glaubt Michelle Heinze. Wenn dies nicht gelänge, dann weil sie es nicht gelernt haben.
Wichtig in der täglichen Arbeit ist den Beraterinnen deshalb auch die Wertschätzung der Eltern. „Darüber lässt sich ein Zugang herstellen“, berichtet Heinze von ihrer Erfahrung. Zumeist seien es Familien mit Kindern unter zehn Jahren, die die Hilfe suchen oder durch Außenstehende darauf verwiesen werden. Vernachlässigung und psychische Gewalt, so Heinze, seien die häufigsten Gründe, in denen das Netzwerk tätig werde. An erster Stelle stehe dann das Gespräch mit den Eltern. „Der genaue Ablauf in solchen Fällen ist sogar gesetzlich geregelt.“ Mit einer Dokumentation, die den Kinderschutzfachtag auf der Webseite des Kreises aufbereitet, will Michelle Heinze die Themen auch Interessierten zugänglich machen.
Die Netzwerkkoordinatorin ist unter Telefon 03491/47 94 61 (E-Mail: [email protected]) erreichbar. (mz)