Experte für Melktechnik wählte Standort strategisch
GRIESEN/MZ. - Das Dörfchen in der Verwaltungsgemeinschaft "Wörlitzer Winkel", obgleich schon 1200 erstmals urkundlich erwähnt, hat keinen imposanten Burgberg, von dem der Blick weit ins Land gehen könnte.
Die Zeiten haben sich allerdings geändert. Wer nur bis zum sichtbaren Horizont schaut, seine Grenzen nicht weiter zieht, der käme vermutlich nicht auf den Gedanken, sich ausgerechnet in Griesen einen Platz für ein Unternehmen zu suchen. Doch in der Tat: Wer sich zwischen den westlichsten Winkeln Sachsen-Anhalts, den Autobahnen 2, 10 und 12, der deutsch-polnischen Grenze bis hinunter nach Görlitz sowie der Linie Dresden-Leipzig-Halle ein in die Länge gezogenes Trapez vorstellt, der wird finden, dass der Ort strategisch einigermaßen ideal inmitten all der Verkehrsadern liegt.
Manch einer dreht den Globus, um sich im Blindflug das nächste, möglichst exotische Reiseziel zu ertippen. Koos Hoekema studierte anscheinend für die Planung seiner beruflichen Zukunft eingehend den Autoatlas. "Von hier aus kann ich in ungefähr zwei Stunden bei jedem meiner Kunden sein", lässt er keinen Zweifel aufkommen, dass die Geografie ein wichtiges Kriterium war, den Gebäudekomplex am südlichen Ortsrand von Griesen zu erwerben. In der Nachfolge eines Baubetriebes und einer Firma, die aus den Sporen von Mykorrhiza-Pilzen neuartigen Dünger produzieren wollte, wagte Hoekema sich in einem völlig anderen Bereich in die Selbstständigkeit.
Die HMS GmbH kümmert sich um Herdenmanagement, um Melktechnik und -stände, um Kühltechnik und sämtlichen Service ringsherum. Das Kürzel HMS steht folglich für Hoekema Milking Systems. Ein Metier, mit dem sich der Niederländer seit gut und gerne 20 Jahren bestens auskennt. Aus der Region Friesland stammend, war er als Monteur für die Firma BouMatic lange im Außendienst tätig. Dabei lernte Hoekema die Welt kennen. Sein Können beim Planen und Errichten von Melkanlagen war beispielsweise in Saudi-Arabien, dem Irak, im Oman, Ägypten und dem Libanon gefragt.
Von dem Erfahrungsschatz profitieren nunmehr die BouMatic-Kunden in einem Drittel Ostdeutschlands. In regelmäßigen Abständen ist der Chef von derzeit sechs Angestellten in dem ihm zugewiesenen Bereich unterwegs, um Industriemelkanlagen zu bauen und zu warten. Außer Dienst sind die Experten aus Griesen zu dem Zweck nie. Egal an welchem Wochen- oder Feiertag, egal zu welcher Stunde, ein Team könnte immer ausrücken, um Probleme auf den riesigen Melkkarussells zu beheben. Ob der Notruf nun aus dem Gut Trossin bei Torgau eingeht oder die Agrargesellschaft Lichtenberg bei Frankfurt / Oder Hilfe benötigt.
"In Deutschland gibt es die größten Melkanlagen Europas", begründet Koos Hoekema die Wahl seines Arbeitsplatzes. Mit solchen Dimensionen könne sein Heimatland nicht konkurrieren. Ein Hof mit 150 Kühen sei dort schon das Maximum. Kein Vergleich mit den Kalibern der Firmen hierzulande.
"Da Betriebe weiter expandieren, sprechen wir heute nicht von zu betreuenden Einzelkunden, sondern von gemolkenen Kühen pro Tag. Momentan liegen wir seit der Firmengründung bei über 40 000 Kühen", umreißt der Griesener mit holländischen Wurzeln die aktuelle Situation. Sollte die Auftragslage auch 2009 so zufrieden stellend sein wie bislang - am 25. April feiert die GmbH ihren dritten Geburtstag -, sind Neueinstellungen nicht ausgeschlossen.
"Gutes technisches Personal ist allerdings schwierig zu finden", räumt Hoekema ein. In der Vergangenheit überstanden einige Bewerber die Probezeit nicht. Obgleich der Firmeninhaber niemanden ins kalte Wasser wirft. Ein Gebäudetrakt beherbergt einen Schulungsraum, dessen moderne Ausstattung es erlaubt, alle möglichen Havarien an einer Melkmaschine zu simulieren.
"Wir haben hier schon ordentlich was geschaffen", schweift Koos Hoekemas Blick übers Gelände, das am Eingang von einer im Internet ersteigerten Kuh-Attrappe in Lebensgröße bewacht wird. Auf 500 000 Euro beziffert der Niederländer die Investitionssumme in die Büros, das Ersatzteillager, die Werkstatt und den Fuhrpark seit seinem Start in Griesen, wo der vierköpfigen Familie ein Stück Heimatgeschichte im Übrigen beinahe vor der Haustür liegt. Von der Stadt Oranienbaum, deren Gründerin Henriette Catharina eine Urahnin ihrer Königin Beatrix ist -, erfuhren die Neuankömmlinge aber erst nach ihrem Einzug.
"Das war eine schöne Überraschung", steht Adriana Hoekema, die sich um die Buchhaltung des Betriebs kümmert, noch heute die Freude ins Gesicht geschrieben. Und wenn Besuch zu Gast ist, dann geht es immer wieder gern nach Wörlitz hinüber, um Freunden und Verwandten die Schönheiten der Region vor Augen zu führen. Die Zeit war offenkundig reif, sich nicht ausschließlich an Straßenkarten zu orientieren, sondern auch mal in Broschüren zu blättern, die mit den hiesigen Sehenswürdigkeiten illustriert sind.