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Erfahrener Erzieher setzt auf Liebe und Konsequenz

Von MARCEL DUCLAUD 05.03.2010, 18:36

WITTENBERG/MZ. - Weil er eine Menge geleistet hat und sein Tun anerkannt ist, weil er weiß, dass er "das eine oder andere noch reißen kann" in nächster Zeit, weil sich die Bedingungen sozialer Arbeit nach der Wende so grundlegend geändert haben.

In der DDR, weiß der Vater dreier Jungs, der in Thüringen aufwuchs, "gab es die Heimerziehung - und viel mehr nicht". Allein im Kreis Wittenberg existierten fünf Heime für Kinder und Jugendliche - in Wartenburg, Pretzsch, Kropstädt, Reinsdorf, Wittenberg. Von unverhältnismäßig vielen Heimplätzen spricht Werner denn auch, was nicht zuletzt ein Zeichen dafür sei, dass das Land "Schwierigkeiten hatte mit seiner Jugend". Heute gibt es ungemein vielfältige Möglichkeiten der Hilfe für junge Leute mit Problemen, die Angebote des sozialen Dienstleisters IB sind bestes Beispiel dafür: "Die Gesellschaft lässt sich das richtig viel Geld kosten", lobt Werner.

Undifferenziert will der gelernte Schriftsetzer, der später ein Studium zum Erzieher absolvierte und auch in einem Jugendwerkhof arbeitete, die DDR-Situation gleichwohl nicht darstellen: "Es gab die politisch Missliebigen, die Mehrheit aber war schwererziehbar oder, wie es heute heißt, verhaltensauffällig. Und unter den Erziehern gab es die Schweinehunde ebenso wie jene, die pädagogisch sauber und mit großem Engagement gearbeitet haben." Als Werner Anfang der 80er Jahre in Pretzsch pädagogischer Leiter wurde, sorgte er dafür, dass Erzieher, die ihre Macht missbrauchten, gehen mussten. Es reizt den Kenner der Materie, einen Beitrag zur Aufarbeitung der umstrittenen Geschichte um DDR-Kinderheime und Jugendwerkhöfe zu leisten - wenn die Zeit dafür da ist. In fünf Jahren vielleicht.

Basis des Wittenberger IB, dem Werner von Beginn an vorsteht, war 1990 der Jugendwerkhof: "Ich habe mit den Jugendlichen die Gitter abgesägt", erinnert er sich noch - und als nächstes, um die Tradition des Hauses zu brechen, eine Heimstatt für minderjährige Mütter mit ihren Kindern aufgebaut: "Dass es so etwas in der DDR nicht gab, war bedauernswert."

Inzwischen steht der IB für eine Vielzahl sozialer Angebote, aus einst 20 sind 120 Beschäftigte geworden. "Wir haben täglich mit rund 1 000 Menschen im Kreis zu tun", sagt der Geschäftsführer, der für seine klaren Worte bekannt ist, nicht ohne Stolz: Da ist die Berufsausbildung für Benachteiligte - Lernbehinderte und Menschen mit gesundheitlichem Handicap, der Erziehungsbeistand, die Familien- und Erziehungsberatung, da sind soziale Trainingskurse und Sozialarbeit im Wohngebiet, der IB managt die Kinderküche und beschäftigt Streetworker, kümmert sich um den Berufseinstieg von Schulabsolventen. Dass sich Werner weitere Tätigkeitsfelder vorstellen kann, daraus macht er keinen Hehl. Die Arbeit mit Familien, die "Verbesserung der Erziehungskompetenz von Eltern" liegt ihm am Herzen. Erhebliche Defizite in Folge von Arbeitslosigkeit seien nicht zu leugnen und machen dem Nachwuchs den Start schwer.

Sein Job bereitet ihm nach wie vor Freude, auch wenn Michael Werner derzeit eher Manager und weniger Erzieher ist: "Vor Verantwortung habe ich mich nie gedrückt." Und die Nähe zu den Projekten seines Hauses ist ja gegeben. "Ich bin in einer komfortablen Situation", freut sich der Pädagoge, für den die Erziehung nicht an Bedeutung verloren hat. Seine Botschaft lautet: "Die Liebe zum Kind ist durch nichts zu ersetzen. Konsequenz ebenfalls nicht."

Dass Werner beim offiziellen Akt Freitag auf Blumen und sonstige Geschenke verzichtet hat, entspricht seiner Persönlichkeit und seinem Anspruch. Der 60 Jahre alt gewordene Geschäftsführer des Wittenberger IB, der zu den fünf Beiräten im bundesweiten Präsidium des Internationalen Bundes gehört - was sowohl Anerkennung als auch Einfluss bedeutet -, bat ausdrücklich um Spenden. Für ein Wochenende mit benachteiligten Familien am Friedrichsee. "Für manche Menschen", weiß Werner, "ist eine Fahrt nach Dessau eine halbe Weltreise. Die kommen nicht raus. Das lässt ermessen, was so ein Wochenende für sie bedeutet."