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Eineiige Drillinge Eineiige Drillinge: Das Wunder von Wittenberg

Von Alexander Baumbach 04.06.2015, 18:42

Wittenberg - „Das war Medizin auf Bundesliga-Niveau, was die Kollegen da geleistet haben“, schwärmt Dr. Dr. Martin Voss, Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe im Wittenberger Paul-Gerhardt-Stift. Am Dienstag letzter Woche kamen in der Klinik per Notkaiserschnitt eineiige Drillinge zur Welt. Die drei Jungs machten sich aber viel zu zeitig auf den Weg ins Licht der Welt - die Geburtswehen in der 26. Schwangerschaftswoche setzten ohne Vorwarnung ein. Vorher, noch am selben Tag, sei die Mutter bei einer Routinekontrolle bei ihrem Frauenarzt in Leipzig gewesen. Mehrlingsgeburten werden normalerweise an speziell ausgestatteten Geburtshilfe-Einrichtungen betreut. Dass eine „normale“ Entbindungsstation mit einer Drillingsgeburt in diesem frühen Stadium konfrontiert wurde, hat in Wittenberg einen außergewöhnlichen Einsatz ausgelöst.

Halbe Stunde Vorwarnzeit

„Das ist natürlich schon mal eine sensationelle Schwangerschaft - die Chancen für so eine außergewöhnliche Kombination liegen bei 1:200 Millionen. Aber auch die ärztliche Leistung war sensationell“, betont Voss. Mit einer halben Stunde Vorwarnzeit habe das Krankenhaus ein Team von Spezialisten zusammengetrommelt. „Einen Transport in eine Spezialklinik hätten weder die Mutter noch die Kinder überlebt. Auf der Straße undenkbar, eventuell hätte man sie noch ausfliegen können. Aber wären die Kinder im Hubschrauber geboren worden, dann hätten sie nicht selbst atmen können. Eine Geburt bei uns im Haus war die sicherste Entscheidung“, erklärt er die Abwägung des diensthabenden Arztes. Plakativ bringt er die gemeinsame Leistung von Gynäkologie, Geburtshelfern und Kinderärzten auf den Punkt: „Ohne uns wären alle Vier heute tot.“

Die Lungen von Frühchen sind in einem solch frühen Stadium der Schwangerschaft noch nicht darauf eingestellt, selbstständig zu arbeiten. „Das kann man sich vorstellen wie bei einem Luftballon, den man zum ersten Mal aufbläst. Da muss man auch am Anfang richtig Druck ausüben, bevor das geht. Ab der 34. Schwangerschaftswoche produziert der Körper erst ein sogenanntes Surfactant, das die Oberflächenspannung in der Lunge herabsetzt.“ Voss vergleicht den Stoff mit einem Wirkstoff im Spülmittel. „Dessen Bildung muss aber extra stimuliert werden. Sonst sind die in 20 Minuten mausetot“, erzählt der Mediziner. Man könne die Bildung des Surfactants bei einer sich abzeichnenden Frühgeburt anregen, indem man der Mutter Cortison verabreiche. „Dafür war es hier aber schon zu spät“, erklärt Voss.

Zwar hätte theoretisch die Möglichkeit bestanden, die Kinder auch auf natürlichem Wege zu gebären, das Team habe sich aber auf einen Kaiserschnitt verständigt. Zu groß sei ansonsten die Gefahr gewesen, dass sich die Babys gegenseitig mit ihren Nabelschnüren die Luft abklemmen.

Um die Kinder optimal zu versorgen, habe man pro Kind ein komplettes Geburtshilfe-Team eingesetzt. „Insgesamt haben wir mit zwei Geburtshilfe-Ärzten, vier Kinderärzten, zwei Hebammen und sechs Kinderkrankenschwestern gearbeitet. Direkt nach der Entbindung haben wir die Kinder dann von drei Teams separat betreuen lassen.“

Noch in der Nacht sei ein Spezialist vom Halleschen Universitätsklinikum per Hubschrauber eingeflogen worden. Auf dem Rückflug habe dieser zwei der Kinder schon mitgenommen, gegen Morgen wurde dann das dritte Frühchen ebenfalls per Helikopter nach Halle ausgeflogen.

Zwei entscheidende Wochen

„Was Dr. Christoph Kändler als Chefarzt der Kinderstation und seine Truppe da geleistet haben, ist eine Top-Sache. Zwei Wochen früher hätte die Überlebenswahrscheinlichkeit auch mit unserer Hilfe bei 50 Prozent gelegen, da reden wir aber nicht über ,Gesund nach Hause entlassen’, sondern wirklich nur von Überleben“, erzählt Voss.

Den Kindern gehe es gut, heißt es jetzt aus der Uniklinik Halle. Dabei sei es aber noch zu früh, davon zu sprechen, dass das Trio „über den Berg“ sei. Die Eltern der Drillinge sind nach den turbulenten Ereignissen erschöpft und wollen vorerst nicht in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten.

Im Team wird man unterdessen noch lange von der Geburt reden. „Ich bin richtiggehend stolz und glücklich, dass das so gut abgegangen ist. Die Zusammenarbeit war exzellent, das Team hat richtig gut funktioniert. Das ist sehr beruhigend“, erzählt Hebamme Heike Jakob. Ihre letzte Drillingsgeburt hat sie 1984 miterlebt. Damals war sie noch in der Ausbildung. Turbulent war die Situation dennoch für alle Beteiligten vor Ort. „Der reguläre Betrieb war ja auch noch zu bewältigen. Von den drei Kreißsälen, die wir hier haben, waren zwei belegt, den dritten haben wir dann für die Ankunft der Drillinge leergeräumt. Außerdem haben noch andere Patientinnen auf die Einleitung ihrer Geburten gewartet“, erzählt sie.

Dass das Trio so vergleichsweise reibungslos auf die Welt kam, sei harte Wissenschaft und ärztliche Arbeit gewesen, erklärt Voss. „Mit indischer Brücke, Yoga und ein paar Kerzen kommt man eben in so einer Situation nicht weit.“ (mz)