Ein Leben hoch über den Dächern

Wittenberg/MZ. - Dabei hatten ihn schon die Höhe der Türme und die Aussicht von diesen gereizt. Bevor er aber die Möglichkeit bekam die Stelle des Türmers zu übernehmen, war er 1883 für zwei Jahre zum Heeresdienst einberufen worden.

Zu Silvester 1896 war dann die Familie Otto auf den Türmen und begann ihren Dienst. Der Türmer hatte im Februar 1888 die Ehe mit Anna, Dorothee, Marie Kühne geschlossen. Noch vor der Eheschließung wurde das erste von sechs Kindern geboren. Dieser Sohn war noch unten in der Stadt geboren und durfte sich nicht "Hochwohlgeboren" nennen. Zwei weitere Kinder erblickten ebenfalls zu ebener Erde das Licht der Welt, erlebten aber den Umzug nicht mehr, da sie jung starben. Die Geburten von drei weiteren Kindern folgten in den Jahren 1897 bis 1902. Diese waren auf den Türmen, hoch über der Stadt, zur Welt gekommen und bezeichneten sich scherzhafter Weise als "Hochwohlgeboren".

Beschäftigt war Hermann Otto bei der Stadt Wittenberg, war aber gleichzeitig noch Glöckner im Dienste der Stadtkirchengemeinde. Diese Tätigkeiten füllten sein Leben voll aus und forderten auch ihren Tribut durch entsprechende Leiden und ein relativ zeitiges Ableben im Jahr 1921 (die MZ berichtete). Für seine Tätigkeiten gab es auch Verträge mit dem Magistrat der Stadt Wittenberg und dem Gemeindekirchenrat sowie eine Instruction für den Türmer. Mit seinem Ableben gab es keine Neubesetzung der Türmerstelle auf den Türmen der Stadtkirche Wittenberg. Seine Ehefrau lebte noch bis 1945 auf ihren geliebten Türmen. Seit dieser Zeit verwaiste die Türmerwohnung und ist nun seit einigen Jahren wieder zum "Tag des offenen Denkmals" zu begehen und besichtigen. Der Neffe des Türmerehepaares Otto, der Wittenberger Chronist Heinrich Kühne, beabsichtigte schon zu DDR-Zeiten die Türmerwohnung zur Besichtigung wieder herzurichten, aber dies war leider nicht möglich. Unter Regie des Heimatvereins Wittenberg gibt es nun seit einigen Jahren wieder Aktivitäten dazu.

Der Autor dieser Zeilen ist Enkel des letzten Türmers von Wittenberg