Denkmale Denkmale: Und wo, bitteschön, geht es denn hier zum Schloss?
DABRUN/MZ. - Zuweilen braucht es detektivischen Spürsinn, um alte Schlösser und große Geschichte aufzuspüren. Nicht, dass die Häuser und ihre Bewohner sich verstecken müssten. Der Lauf der Zeit hat einfach Bauwerke manchmal so verändert, dass sie nicht mehr als das wahrgenommen werden, was sie sind. Und 40 Jahre DDR haben ihren Teil dazu beigetragen, dass man in vielen Orten erst in den letzten Jahren die eigene Geschichte neu entdeckt.
Früchte des Bodens
Nein, ein Schloss gäbe es in Dabrun nicht, teilt der Herr am Straßenrand auf Anfrage mit. Ein Gutshaus vielleicht? Auch nicht, höchstens einen alten Bauernhof, den habe man, in der Nähe der Kirche, mit so komischen Fensterrahmen. Letztere entpuppen sich als Sandsteinarbeiten aus der Renaissance. Unter den Besitzern von Schlössern und Herrenhäusern im Landkreis Wittenberg sind Martina und Udo Huth die absolute Ausnahme. Dabei tun sie etwas, was einst der Normalfall war: Sie betreiben Landwirtschaft. Die Früchte des Bodens sind die Basis für den Erhalt ihres alten Ritterguts, auf dem es schon lange keine Ritter mehr gibt. Aber bürgerlich lebt es sich dort auch ganz gut (siehe "Knackig frisch").
Im Besitz der Vorfahren der Huths ist der Dabruner Betrieb seit etwa 1900. Die ansprechenden Stallungen und Scheunen aus der Zeit um 1910 tragen noch heute die Namen der Ahnen. Beide Weltkriege und die Wirtschaftskrise in den 1920er Jahren überstand der Betrieb durch harte Arbeit. Und da der Landbesitz in Dabrun 1945 nur 72 ha umfasste, entging die Familie auch der entschädigungslosen Enteignung. Doch mit der Einzelbewirtschaftung war es in den 1960er Jahren vorbei, die Soll-Leistungen waren durch freie Landwirte nicht zu schaffen und so blieb nur der Gang in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG). Nach der politischen Wende entschloss sich der damals dreißigjährige Udo Huth für den Schritt in die Selbständigkeit.
Alles außer mustergültig
Was der junge Gärtner vorfand, war alles andere als ein Musterbetrieb. Mit gebrauchten Maschinen aus alten LPG-Beständen und viel, viel Handarbeit ging es los. Bereut hat er es nicht, auch wenn seine Tage im Sommer um fünf Uhr in der Früh beginnen. 119 Hektar bewirtschaften Huth und seine Mitarbeiter mittlerweile, erzeugen Gemüse, halten eine kleine Mutterkuhherde und etliche Hausschweine. Die brauchen sie für etwas ganz Besonderes: 2002 wurde ein moderner Schlachtraum eingerichtet, der Besucher aus nah und fern nach Dabrun lockt. Privatpersonen, Firmen und Vereine nutzen die Möglichkeit, sich nebenan im Stall ein Schwein auszusuchen und dies - ganz nach überlieferter Art - zu leckerer Wurst und Fleisch zu verarbeiten. Der Erfolg dieser Idee ist für Martina Huth ein Beweis, dass auch in einem modernen Landwirtschaftsbetrieb Platz für traditionelles Vorgehen ist.
Tradition und Bodenständigkeit nehmen im Hause sowieso eine wichtige Rolle ein. Ihre Bewahrerin ist Großmutter Johanna Huth (72), die ebenfalls im historischen Gebäude wohnt ("Wir sind ein Mehrgenerationenhaus"). Zur Geschichte hält sie einige Unterlagen wohlverwahrt. Das Gut wurde erstmals zu Beginn des 16. Jahrhunderts erwähnt, Friedrich der Weise hatte das Dorf dem Augustinereremitenkloster in Wittenberg übertragen.
Johann v. Staupitz, damals Ranghöchster des Augustinerordens, gab seinem Bruder Günther das Gut als Lehen. Die gemeinsame Mutter der Brüder zog mit nach Dabrun. Staupitz hatte sich auch Geld von den Augustinern geliehen, zahlte dies aber nur unregelmäßig zurück, Schulden häuften sich an. Sehr zum Ärger des jungen Martin Luther. Als Subprior der Wittenberger Augustiner war er für die klösterlichen Finanzen zuständig. Dabrun brachte ihn in Gewissenskonflikt, denn der Bruder des Schuldners war ja sein Ordensgeneral Johann v. Staupitz. Zu diesem hatte Luther ein vertrauensvolles Verhältnis, zumal Staupitz sein Beichtvater war. Letztendlich musste Kurfürst Friedrich die Angelegenheit regeln, denn Luther hatte wissen lassen, "man sei nicht gesonnen, Staupitz die Hufe zu lassen".
Fünf Jahre darauf starb Günther I. v. Staupitz. Ihm folgten drei weitere Generationen derer v. Staupitz, bis mit dem Tode des Hans II. v. S. im Jahr 1585 ihre Ära endete. Vielleicht war er noch der Bauherr des heutigen Herrenhauses. Zu Lebzeiten wurde er als Gotteslästerer bezeichnet, der während der Messen seine Leute zur Jagd schickte oder sie im Gasthaus die Trommel schlagen ließ (so laut übrigens, dass man es in der Kirche hörte). Für 180 Jahre kam der Besitz nun in die Hand der Familie Oberkampf. An sie erinnern in der Dabruner Kirche wertvolle Epitaphe und Ausstattungsstücke.
Eheverbindungen schlossen die Oberkampfs vor allem mit Kreisen aus Verwaltung, Geistlichkeit und akademischer Lehre. Schließlich entfachten sechs Brüder in der Mitte des 18. Jahrhunderts einen erbitterten Erbschaftsstreit, der zum Verkauf des väterlichen Erbes führte. 1777 riefen sie Kurfürst Friedrich August III. an, er möge ihren Streit schlichten. Nach längeren Verhandlungen erwarb schließlich der Wittenberger Rat das Dabruner Gut für 43 000 Taler im Jahre 1786. Kurios mutet die Tatsache an, dass die Brüder die Summe in Hartgeld verschiedener Währungen haben wollten und deshalb mit einem Pferdefuhrwerk zur Abholung der vielen Münzen nach Wittenberg kamen. Wie lange wohl das Zählen dauerte?
Die nächste Generation
Aus der Wittenberger Hand erwerben bereits 1830 neun Dabruner Bauern das Rittergut und teilen es unter sich auf. Das alte Schloss oder Herrenhaus derer v. Staupitz zu Dabrun ist bis heute erhalten, wenn auch in reduzierter Form. Einst hatte es ein Stockwerk mehr. Der Großvater von Udo Huth ließ das obere 1947 abbrechen und an dessen Stelle in vereinfachter Form einen neuen Dachstuhl errichten. Heute hat das Herrenhaus die richtige Größe für Familie Huth, auch beide Kinder haben Platz im Mehrgenerationenhaus. Dabei gibt es immer noch Räume, die nicht oder eher nicht mehr genutzt werden. Für die MZ geht es durchs Kellergewölbe hinab in einen ganz besonderen Raum: den Kerker. Zwei Zellen hält er bereit, es ist beruhigend, dass sie so aussehen, als wären sie länger nicht benutzt worden.
Unterdessen sitzt Udo Huth wieder am Schreibtisch, diesmal geht es nicht um Kartoffeln oder Möhren, sondern um Lokalpolitik. Schon seit 1992 ist er im örtlichen Gemeinderat. Heimatliebe bedeutet für Huth eben auch, dass man nicht nur redet, sondern sich für Dorf und Region engagiert. Auch das hat Tradition in den alten Häusern. Aber es geht dem Ehepaar Huth nicht nur um das sture Festhalten an alten Werten, sondern es soll Altes aufgegriffen und mit neuem Leben erfüllt werden. Diese Vorstellung wollen sie auch an ihre Kinder weitergeben. Sohn Steffen hat bereits in einem anderen Unternehmen eine moderne landwirtschaftliche Ausbildung mit Erfolg gemeistert. Die nächste Generation steht also bereit.
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Der Autor Matthias Prasse ist freiberuflicher Kulturhistoriker und Denkmalpfleger. Er ist Verfasser mehrerer Führer zur Architektur und Geschichte der Region. Prasse lebt in Dresden und Buro. Nächste Woche geht es nach Klieken, wo zwei Herrenhäuser das Erbe der Familie v. Lattorff verkünden.