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Kandidaten im Gespräch  Bundestagwahl 2017 - Kandidaten im Gespräch : Tobias Ulbrich (Einzelbewerber) - Exot will Ende der Steinzeit

21.09.2017, 11:59
Einzelbewerber Tobias Ulbrich will bei der Bundestagwahl 2017 in den Bundestag einziehen.
Einzelbewerber Tobias Ulbrich will bei der Bundestagwahl 2017 in den Bundestag einziehen. Thomas Klitzsch

Wittenberg - Tobias Ulbrich ist ein Exot unter den Kandidaten. Der 46-Jährige verzichtet auf die Unterstützung einer Partei. Der Vater dreier Kinder hat sich einen Namen gemacht als Elternvertreter, setzt voll auf die Bildungspolitik als Wahlkampfthema und will in Berlin für die Modernisierung der Schulen sorgen.

„Unsere Kinder wachsen mit dem Tablet auf, als Abc-Schützen werden sie in die Steinzeit zurück geschickt“, so Ulbrich. Als Beispiel nennt er eine Wittenberger Schule: „Dort gibt es einen fünf Jahre alten PC. Damit werden Zeugnisse geschrieben.“ Redakteur Michael Hübner stellt die Fragen.

Als Einzelkandidat brauchen Sie Unterstützung von Wählern. Was haben Sie beim Unterschriftensammeln erlebt?

Ulbrich: Ich habe mich vor eine Kaufhalle gestellt und die Diskussion gesucht. Mein Fazit: Die Menschen haben große Angst vor der Zukunft. Sie machen sich Sorgen um ihre Rente oder eine bezahlbare Pflege. Einwanderung muss besser geregelt werden. Familien wünschen sich ein zweites Kind, überlegen aber, ob sie sich das leisten können.

Viele waren sehr froh, dass sie mal jemandem ihre Sorgen und Nöte erzählen konnten. So ein Gespräch dauerte 30 Minuten. Das ist für eine Unterschriftensammlung nicht effektiv. Ich musste auf die Hilfe von Freunden, Bekannten und Elternvertretern zurück greifen. Übrigens, ich muss alle Kosten selbst tragen.

Bei Foren werde ich benachteiligt. In Gräfenhainichen beim Mittelstand habe ich mich selbst eingeladen, bei der IHK war ich nicht erwünscht. Hier sollten nur Vertreter der im Landtag vertretenen Parteien reden. Das war aber gelogen. Und ich darf nur 44 Plakate - deutlich weniger als die Konkurrenz - aufhängen.

Richard Freudenberg schaffte zuletzt als Einzelkandidat den Sprung ins Parlament. Das war 1949. Der Unternehmer erzählte später, bei der Kanzlerwahl Konrad Adenauers war seine Stimme die entscheidende. Wen machen Sie zum Kanzler - Merkel oder Schulz?

Tobias Ulbrich ist Wittenberger, 46 Jahre, verheiratet, Vater von Zwillingen (sieben Jahre) und eines Sohnes (vier Jahre). Er wird in Elternvertretungen aktiv - zunächst kommunal, inzwischen aber auch im Kreis und im Land.

Beruflich ist Ulbrich sehr viel unterwegs im Osten Deutschlands. Er ist Vertriebsleiter einer Software-Firma und berät in den neuen Bundesländern Unternehmen. Das ist ein Fulltime-Job. „Der Wahlkampf aber auch. Das habe ich unterschätzt“, so Ulbrich.

In die Politik wechseln will Ulbrich, weil er die Probleme des demographischen Wandels nicht ernst genommen sieht und weil er Eltern-Interessen in Berlin vertreten will.

Weder noch. Demografischer Wandel und Digitalisierung stellen uns vor große Herausforderungen. Die Verantwortung dafür sehe ich bei der jüngeren Generation, zumal diese Themen auf Bundesebene kaum vorkommen.

Als Unabhängiger müssen Sie sich einer Fraktion anschließen, damit Sie in Ausschüssen abstimmen dürfen. Mit wem planen Sie eine Vernunftehe?

Bisher mit niemandem. Ich lasse mich in kein Schema pressen. Ich möchte in Berlin die Finger in die Wunde legen. Das funktioniert auch als beratendes Mitglied eines Ausschusses. Ich bin davon überzeugt, dass ich als Parteiloser im Bundestag auch für die Medien ein interessanter und gefragter Gesprächspartner wäre. Ich hoffe, meine Ziele auch als Solist problemlos zu erreichen, kann das aber erst vor Ort bewerten.

Was braucht es, um ein guter Politiker zu werden?

Gottvertrauen, gesunden Menschenverstand und ein Netzwerk. Es müssen die Interessen der Menschen der Basis vertreten werden. Ich bin ein absoluter Familienmensch und möchte, dass meine Kinder und Enkel in der Region bleiben. Dazu braucht es attraktive Jobs.

Dem Bund geht es gut, den Kommunen eher schlecht. Wie kann das geändert werden?

Da gibt es viele Möglichkeiten. Es müssen mehr Steuergelder bei der Kommune bleiben, damit mehr Investitionen vor Ort möglich sind. Ohne das Geld vom Bund kommen wir in der Region nicht schnell genug voran. Politisch wird Mangel verwaltet statt die Zukunft gestaltet. Das eingesetzte Geld bewirkt zu wenige Verbesserungen. Die Bürokratie muss abgebaut werden.

Die demografische Entwicklung hängt nach wie vor wie ein Damoklesschwert über dem Osten. Macht Sie das nervös?

Ja, sehr sogar. Dessau ist die älteste Stadt in Deutschland, da müssen wir gegensteuern. Wir müssen junge Familien unterstützen und Kinder mit guter und kostenfreier Bildung fördern, wir brauchen ein Kita-Qualitätsgesetz des Bundes.

Im Kreis Wittenberg gehen in den nächsten fünf Jahren rund 20 Prozent der Fachkräfte in Rente, aber nur etwa zehn Prozent an jungen Menschen kommen nach. Die Folgen sind dramatisch: Steuereinnahmen reduzieren sich, damit fehlt Geld zum Gestalten der Zukunft. Wir brauchen dringend gute Lehrstellen, die jungen Leute sollen bleiben. Hier setze ich an. (mz)