Arbeitslose zeigen sich den anderen
Wittenberg/MZ. - Das Thema, erklärt Kathrin Freihube, geht ihre Schülerinnen schließlich etwas an. Nicht als Betroffene, "noch nicht", wie manche öffentlich raunen, die sich darauf ein Polit-Süppchen kochen wollen. Aber wohl jedes der Mädchen kennt jemanden, das ist nicht schwer in der Friedrichstadt, der betroffen ist, und nicht selten sind es die eigenen Eltern.
"Straße der zerstörten Träume" heißt die Ausstellung, mit der eine Gruppe Arbeitsloser die Allgemeinheit auf ihre Situation aufmerksam machen möchte. Vor allem jenen Teil der Allgemeinheit, der (noch?) einen Job hat. Nach Stationen in Dessau und Halberstadt im vergangenen Jahr hat die 2003 entstandene Schau aus dem nordbayerischen Weidhausen auf Initiative des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und des Sozialen Bündnisses der Region Wittenberg nun auch die Lutherstadt erreicht.
"Wer gehört werden will, muss sich sehen lassen", umreißt Rainer Zimmermann, ehrenamtlicher DGB-Kreisvorsitzender, das Anliegen der Ausstellung bei deren Eröffnung am Dienstagabend. Verdi-Aktivist Wolfram Altekrüger vom Sozialen Bündnis wünscht sich wortreich, die Ausstellung möge den "sozialen Blick schärfen" - den der Job-Besitzer. Etwa 50 Leute sind gekommen, die offiziellen Sozialexperten der Stadt, aber auch die "Betroffenen", die Montagsdemonstranten gegen Hartz IV, Menschen, die seit Jahren arbeitslos sind und die Hoffnung auf eine Beschäftigung lange aufgegeben haben. Menschen mit Wut, wie Uwe Bosdorf, mit 57 Jahren lange zu alt für den Bau, wie man dem Wittenberger immer wieder bescheinigt hat, und Menschen in Trauer. Wie Karin Mainzer, ausgemustert als Verkäuferin im thüringischen Sonneberg. Sie ist gerade mal über 50 und ihre drei Kinder haben "noch" Arbeit. Sonneberg soll die nächste Station der Ausstellung sein und wenn das so kommt, wird Karin Mainzer, aktiv in der dortigen Erwerbslosenhilfe, ihren Anteil daran haben. "Die Bilder berühren mich sehr", sagt sie sanft.
Die Bilder sind so etwas wie der Kern der Ausstellung. Die Menschen aus dem "Club der Arbeitssuchenden Weidhausen" haben sie ausgewählt, um ihre Situation zu illustrieren. "Drei von fünf Millionen" hat eine arbeitslose Frau unter "ihr" Foto geschrieben - es zeigt drei Schafe hinter einem Maschendrahtzaun... Die Auswahl der Fotografien, erläutert Ausstellungsmacher Leonhard Fehn, ein älterer Herr im weinroten Sakko, sei für seine Leute der schwierigste Teil der Übung gewesen. Weil man damit ein Stück von sich preisgibt. Fehn kommt aus der kirchlichen Erwachsenenbildung und arbeitet heute mit den Arbeitslosen von Weidhausen. Macht mit ihnen Bewerbungstraining und eben auch die Ausstellung. 95 Thesen zur Arbeitslosigkeit an der Schlosskirche - das wäre für Fehn ein sichtbares Zeichen, dass die Schau auch in der Lutherstadt auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Der Anfang scheint gemacht: Das Gästebuch im Jugendhaus füllt sich rasch mit positiven Kommentaren.
Mandy Hoppe, 17 Jahre jung und auf Lehrstellensuche im Pflegebereich, jedenfalls muss nicht lange überlegen, welches Motiv der Ausstellung sie am meisten beeindruckt hat. Es ist dieses geradezu biblische Bild: Ein Stück Brot wird gebrochen. Warum gerade dieses Foto? Wegen des Satzes, der darunter steht: "Wer teilt mit mir?" Sie wäre bereit zu teilen, sagt Mandy. Den Arbeitsplatz. Und sie wird weggehen, wenn sie den hier nicht findet. Ihre Bewerbungen haben Baden-Württemberg erreicht.
"Straße der zerstörten Träume": Bis 8. März, werktags 14 bis 20 Uhr im Jugendhaus in der Neustraße. Dazu gibt es zwei Diskussionsveranstaltungen: Donnerstag, 16 Uhr zum Thema "Mindest- oder Hungerlohn?" und am 7. März, 18 Uhr zu "Ausbildungsperspektiven".