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Amtsgericht Wittenberg  Amtsgericht Wittenberg : Urteil nach Vergewaltigung zu Pfingsten in Fleischerstraße

Von Anne Nicolay-Guckland 08.08.2016, 11:08
Am Amtsgericht in Wittenberg wurde am Montag der Fall einer Vergewaltigung in der Nacht zum Pfingsmontag in der Wittenberger Fleischerstraße verhandelt.
Am Amtsgericht in Wittenberg wurde am Montag der Fall einer Vergewaltigung in der Nacht zum Pfingsmontag in der Wittenberger Fleischerstraße verhandelt. Anne Nicolay-Guckland

Wittenberg - „Das Gefühl ist immer noch da“, erklärt die junge Frau, die am Montag fixiert auf die Richterin am Amtsgericht Wittenberg erklärt, mit welchen Folgen sie nach der Straftat zu kämpfen hat. Am 16. Mai dieses Jahres hat sich das Leben der 26-Jährigen schlagartig geändert.

Janine U. (alle Namen geändert) ist in der Nacht zum Pfingstmontag mit einer Freundin unterwegs, die beiden Frauen machen sich einen schönen Abend. Gegen 2.15 Uhr gibt sie ihrem Freund Bescheid, dass sie sich auf den Weg nach Hause begeben würde, allein. Der 31-Jährige will ihr entgegen gehen, irgendwann hört er Schreie. „Ab da bin ich gerannt. Als ich in die Fleischerstraße einbog, sah ich einen Mann, der über jemandem lag“, erklärt er bei seiner Zeugenaussage vor Gericht.

Angst vor einer Begegnung in Wittenberg

Janine U. hat den Ablauf der Tat bereits geschildert, vor Gericht möchten ihr alle Prozessbeteiligten eine erneute Aussage ersparen. Sich gemeinsam mit dem Täter in einem Raum aufzuhalten, geschweige denn ihm von Angesicht zu Angesicht zu begegnen, ist für sie nicht auszuhalten. „Eine meiner größten Befürchtungen ist, ihm zufällig in der Stadt zu begegnen“, wird sie wenig später vor Gericht aussagen.

Auf der Anklagebank sitzt Markus L. Der 29-Jährige hat eine Freundin, zwei kleine Kinder, ein drittes ist unterwegs. Strafrechtlich ist er bisher nicht in Erscheinung getreten, polizeilich bekannt ist er aber. Er habe in den Wochen zuvor Stress auf Arbeit gehabt, privat sei er aber zufrieden gewesen. Mit seiner Freundin gebe es eine intakte Partnerschaft, erklärt er auf Nachfrage. Gerade erst habe sich die Beziehung stabilisiert.

Am Abend des Pfingstsonntages ist Markus L. ebenfalls in der Wittenberger Innenstadt unterwegs. Erst besucht er eine Spielothek, dann eine Diskothek, später einen Tattooladen. Etwa einen Liter Bier trinkt er an dem Abend, eine Menge, die „ich gelegentlich trinke“, erklärt er.

Zum Abschalten vom Stress auf Arbeit, der Angeklagte ist Restaurantfachmann, raucht er am Schwanenteich noch eine Zigarette. Danach will er sich mit dem Fahrrad auf den Heimweg begeben, vor dem Café Fritz an der Ecke Fleischerstraße/Mauerstraße sieht er Janine U. von hinten. „Auf einmal hatte ich im Kopf: Anfassen“, erklärt Markus L. vor Gericht. Dann geht alles sehr schnell.

Im deutschen Strafgesetzbuch ist geregelt, ab wann eine Straftat als Vergewaltigung bewertet wird. Diese liegt vor, wenn die „sexuellen Handlungen mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind.“ (§ 177 StGB) Diese Tat wird nach deutschem Recht mit mindestens zwei Jahren und maximal 15 Jahren Freiheitsstrafe geahndet. Bis zum Strafmaß von zwei Jahren können in Deutschland Strafen generell auf Bewährung ausgesetzt werden (§ 56 StGB) wenn nach Einschätzung des Gerichts besondere Umstände vorliegen. Außerdem wird berücksichtigt, ob der Verurteilte versucht den Schaden wiedergutzumachen.

In Österreich und der Schweiz ist das Mindeststrafmaß für Vergewaltigungen mit einem Jahr geringer. Bei maximal zehn Jahren Haft liegt die Strafe in der Schweiz und bei 15 Jahren in Österreich. (mz/guc)

Wenige Meter weiter, in der Fleischerstraße, greift Markus L. plötzlich und überraschend an. Er stößt Janine U. zu Boden, sie landet auf Bauch und Händen, kann sich nicht wehren, es kommt zur Vergewaltigung.

Warum er Janine U. angegriffen hat, könne er sich selbst nicht erklären. Er habe sie nicht gekannt. Ja, einen attraktiven Körper habe sie, doch bisher habe er immer einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehabt. Auch untreu sei er schon gewesen, aber seine Partnerinnen hätten immer freiwillig mit ihm verkehrt.

Markus L. zeigt Reue vor Gericht, er sagt: „Ich erkenne mich selbst nicht wieder“. Während der Untersuchungshaft schreibt er einen Entschuldigungsbrief an sein Opfer, nicht nur ein Mal beteuert er darin, dass es ihm leid tue.

Als Janine U. später vor Gericht aussagt, will sie vor allem auf die Folgen der Tat aufmerksam machen. Nicht viel länger als eine Minute dauerte die Straftat in der Pfingstnacht, Janines Freund kommt an den Tatort, stößt den Angreifer weg, erkennt erst da seine Freundin, es kommt zu Handgreiflichkeiten, bei denen Markus L. seine Jacke und ein Basecap verliert, aber flüchten kann. Bei einem Zeugenaufruf durch die Polizei werden diese beiden Kleidungsstücke später erkannt, Markus L. kann drei Tage nach der Tat festgenommen werden, er kommt in ein hallesches Gefängnis in Untersuchungshaft, er gesteht.

Erinnerung kommt immer wieder

Für Janine U. ist seit dem 16. Mai nichts mehr, wie es war. „Ich erinnere mich immer wieder daran, die Gefühle und die Bilder kehren immer wieder.“ Zuvor war sie lebenslustig, fröhlich, sei gern abends ausgegangen und habe ihr Leben genossen. Nun ist sie sehr verletzlich, hat Angst auf die Straße zu gehen, kann keine Kritik aushalten und vor allem keine Berührungen, auch von ihrem Freund nicht.

Markus L. wird zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Zu seinen Gunsten wird sein frühzeitiges Geständnis anerkannt sowie, dass er strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist. Er muss Schmerzensgeld zahlen, darf sich Janine U. nicht mehr als auf 20 Meter nähern. Sie ist in psychologischer Behandlung, eine posttraumatische Belastungsstörung wurde attestiert. (mz)