Vor 100 Jahren Altargeräte in Söllichau weg
Im Mai 1922 berichten die Zeitungen vom Diebstahl aus einer Kirche. Weitere Themen sind die Gründung des Kirchenbundes und die gestiegenen Kosten für Turmbesteigung in Bad Schmiedeberg.

Wittenberg/MZ - Ein besonderes Ereignis im Mai 1922 war für Wittenberg wohl die Gründung des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes. Am 25. Mai, dem Himmelfahrtstag, unterzeichneten die Vertreter aller Landeskirchen Deutschlands in der Schlosskirche nach der Festpredigt „die Urkunde der Begründung an Luthers Grabe auf dem Luthertisch“, so das Wittenberger Tageblatt in seinem Vorbericht. Bereits am 24. Mai wurden die Ehrengäste im Rathaus, kurz darauf in der Superintendentur empfangen.
Sowohl das Tageblatt als auch die Wittenberger Allgemeine berichteten ausführlich über das Großereignis. „Unter leisem Orgelspiel und bedeutsamen Bibelworten vollzogen die 40 Vertreter aller deutscher Landeskirchen die Unterschriften unter Urkunde, Verfassung und Kirchenbundvertrag, dessen Rechtsgültigkeit der Präsident des Deutsch-Evangelischen Kirchenausschusses D. Moeller feststellte und als äußeres Wahrzeichen der Einigung Kränze dankbaren Gedenkens“ an den Gräbern Luthers und Melanchthons niederlegen ließ, schrieb die Allgemeine am 27. Mai.
Mehrere Tausend auf Demo zum 1. Mai
Auch der 1. Mai wurde in Wittenberg gebührend begangen, worüber beide Lokalblätter ausführlich berichteten. Regen beeinträchtigte die Feiern, auch „die Begeisterung an dem Demonstrationsumzug erschien merklich abgekühlt“, vermeldete das Tageblatt. Der Umzug vom Schlosstor am Nachmittag vereinigte sich mit dem von Piesteritz kommenden Teil und führte durch die Straßen der Stadt, „im Geleit der üblichen roten Fahnen und Fähnchen und unter Musikbegleitung“.
Die Allgemeine Zeitung berichtete von mehreren tausend Personen männlichen und weiblichen Geschlechts, Erwachsenen und Kindern als Teilnehmern. Nach der Kundgebung auf dem Markt „begab sich ein erheblicher Teil der Demonstrierenden nach der Brückenkopfkaserne, wo sich noch einige der aus dem vorjährigen Märzputsche Verurteilten befinden sollen. Bald nach dem Anrücken des Zuges traf auch ein Lastkraftwagen mit Schutzpolizeibeamten ein, doch kam es erfreulicherweise zu keinen Zusammenstößen.“
„Wittenberg (Lutherstadt?)“ betitelte die Allgemeine am 14. Mai einen Artikel über Pläne, die bisherige postalische Bezeichnung „Wittenberg (Bez. Halle)“ in Wittenberg (Lutherstadt) zu ändern. „Die nächste Stadtverordneten-Versammlung wird sich mit dieser Angelegenheit zu befassen haben.“ Dies sei zwar wünschenswert, hieß es, aber „so darf man füglich doch Zweifel hegen, ob die zuständigen Ministerien der Umänderung zustimmen werden.“ In der Tat fassten die Stadtverordneten den Beschluss, genehmigt wurde er seinerzeit jedoch nicht.
„Die hiesige evangelische Kirchengemeinde hat von der Reichsvermögensstelle die der bisherigen Garnison-Gemeinde gehörenden Abendmahlsgeräte zum Preise von 14.093 M. erworben“, schrieb das Tageblatt am 3. Mai. „Die Geräte, die eine Weinkanne, ein Taufbecken, zwei größere und einen kleinen Kelch, sowie einen Krankenkommunionskelch umfassen, sind aus Silber gefertigt und besitzen hohen Wert.“ In Söllichau hingegen wurden, so beide Blätter am 28. Mai, einige Tage zuvor aus der Kirche die Altargeräte und Decken gestohlen.
Ein neuer Verein in Wittenberg, der Verein für Aquarien- und Terrarienkunde, lockte Mitte des Monats zu seiner ersten Ausstellung. Er kündigte Fische und Pflanzen aus heimischen Gewässern sowie Exoten an. „Vom Proletarier der Kleingewässer, dem Stichling bis zum Spiegelkarpfen und der Goldorfe“, berichtete die Allgemeine am 16. Mai, wurden Exemplare gezeigt, ebenso „die prächtigen Barsche Nordamerikas wie Schleierschwänze und andere Fische aus Indien und Afrika.“
Das 24. Stiftungsfest des Radfahrer-Vereins „Wanderlust“ in Pratau wurde im Tageblatt am 9. Mai gewürdigt. „An diesem beteiligten sich eine große Anzahl Radfahrervereine aus dem Kreise“, hieß es. Am Nachmittag „stellten sich die Radfahrerinnen und Radfahrer - rund 350 - auf der Straße vor dem Gasthof Zum Freischütz zur Korsofahrt auf.“ Im Sportkostüm, mit bunten Schärpen bewegten sich die Teilnehmer unter Musikbegleitung „durch die mit Tannengewinden geschmückten Straßen“. Am Abend folgte in zwei Sälen ein Festball.
Turnverein wird 60
In Gräfenhainichen liefen im Mai die Vorbereitungen für eine sportliche Feier. „Der Turnverein Gräfenhainichen kann in diesem Jahre auf ein 60jähriges Bestehen zurückblicken und wird dieses Jubiläum am 17., 18. und 19. Juni feiern. Gleichzeitig soll hiermit das Gauturnfest des Sachsengaues verbunden werden“, kündigte die Allgemeine am 5. Mai das Fest an. Neben Zapfenstreich, turnerischen Wettkämpfen am Gerät und volkstümlichem Turnen sowie einem Festzug solle auch die Gaumeisterschaft im Faustball im Rahmen der Feier entschieden werden.
Aus Coswig wurde am 13. Mai in der Zeitung berichtet: „Die Kohlengrube in Bräsen, die seit längerer Zeit still liegt, soll, wie die Elbe-Ztg. hört, wieder in Betrieb kommen. Die Grube hat jetzt durch die Eisenbahn Jeber-Bergfrieden bessere Transportverbindung als früher.“
Nicht erst im Mai 1922 machte sich die rasch zunehmende Inflation spürbar bemerkbar. Für Kartoffeln nahmen Erzeuger Ende des Monats bis zu 155 Mark pro Zentner, für das Pfund Margarine mussten im Laden 35 bis 41 Mark bezahlt werden, Brot kostete 25 Mark. Die „Not der Kleinrentner“ schilderte die Allgemeine am 21. Mai. Die hochbetagten Geschwister Rosalie und Bertha Friedrich waren im April verarmt gestorben, „weil sie sich in falscher Scham scheuten, öffentliche Hilfe in Anspruch zu nehmen“. Die Teuerung betraf alle Bereiche des Lebens. Die Kosten für Kohlen, Wasser, Gas und Strom stiegen monatlich, oft schneller als die Löhne und Zulagen der Renten. Zum Beispiel stimmten die Stadtverordneten von Bad Schmiedeberg, so die Zeitung vom 9. Mai, dem Antrag des Aussichtsturmpächters zu, „die Gebühr für Besteigung des Turms auf 50 Pfg. für die Person zu erhöhen“.