Adventskalender Adventskalender: Türchen 17: Die letzten Dinge

Wittenberg - In einem zweiten Leben werde er Katze im Hause Schach. Ob Lutz Schütze das ernst meint, sei dahin gestellt. Er lächelt, als er es sagt, während er Lilly zu dem Stuhl zurück trägt, auf dem sie die ganze Zeit völlig tiefenentspannt vor sich hindöste, bis sie mit aufs Pressefoto sollte. Lilly ist eine von zwei Samtpfoten im Wittenberger Beerdigungsinstitut Ferdinand Schach. Dort arbeitet Schütze als Berater und Bestatter.
Gestorben wird auch vor Weihnachten immer
Ein kleines Büro im Erdgeschoss des Instituts ist jetzt vor Weihnachten dezent adventlich dekoriert. Advent. Eigentlich bereitet sich die Christenheit ja gerade auf eine, ach was, auf die Geburt vor. Aber der Tod schert sich nicht um Feiertage, gestorben wird immer. Auch Schütze hatte schon Bereitschaftsdienst zu Weihnachten. In diesem Jahr ist er erst Silvester dran. „Man spricht sich ab mit den Kollegen“, sagt der 57-Jährige, ein schlanker Mann mit dunklem Haar und im feinen Zwirn.
Solche Äußerlichkeiten haben schon gelegentlich, sagen wir, zu Missverständnissen geführt, wenn Außenstehende meinten, als Bestatter fahre man doch wohl in erster Linie „gut angezogen mit dem Auto durch die Stadt“. Schütze: „Viele meinten dann, das könnten sie auch.“ Überrascht sei mancher schließlich gewesen, wenn Schütze sein Aufgabenfeld skizzierte, das beim Abholen und Einbetten der Verstorbenen anfängt und über das Waschen, das „Verschließen eventueller Öffnungen“, Schminken bis zu Überführungen und die eigentliche Bestattung reicht.
In Schützes Fall umfasst die Arbeit zudem die Beratung der Hinterbliebenen, im Institut sind dafür noch drei Frauen beschäftigt. In den Angehörigengesprächen erlebe man die ganze Bandbreite dessen, was es in Ausnahmesituationen an menschlichen Regungen gibt. Schütze hat es da mit Pragmatikern ebenso zu tun wie mit jenen, „die emotional völlig am Boden sind“.
Es ist nicht leicht, die letzten Dinge zu regeln, wenn angesichts des Verlustes, vielleicht auch wegen möglicher Unsicherheiten der Schmerz bohrt, den zu mildern Schütze sich bemüht, was bisweilen auch gelingen kann, jedenfalls „ein bisschen“. Manchmal helfe dabei übrigens auch die Anwesenheit von Katze Lilly im Büro, sie lenke ab und wirke beruhigend.
Auf den Tisch kommt bei uns zu Heiligabend traditionell Fleischsalat. Er wird nach einem alten Familienrezept gemacht, und es gibt ihn nur einmal im Jahr. Die Schnippelarbeit ist mein Part. An den Feiertagen gibt es bei uns aber auch Gans.
Weihnachten bedeutet für mich Zeit mit der Familie, mit den Enkelkindern, dass man alle wieder mal am Tisch hat.
Nicht verzichten möchte ich auf den traditionellen Ablauf. Heiligabend beginnt in der Kirche, danach ist Kaffeetrinken bei den Schwiegereltern und dann sind alle bei uns, dann ist Bescherung.
Die größte Weihnachtskatastrophe wäre ein Sterbefall in der Familie, aber davon geht man ja nicht aus. Ein umgekippter Weihnachtsbaum bringt mich nicht aus der Ruhe. (mz/cni)
Was den Innendienst und die Gesprächsführungen betrifft, so habe er, Schütze, zunächst Bedenken gehabt. „Ich arbeite gern mit Menschen zusammen und helfe, aber beim Reden war ich unsicher.“ Es ging um die Frage, ob er „den richtigen Ton“ trifft. Dass er es packen kann, fand der damalige Institutschef, der in diesem Jahr verstorbene Wolfgang Winkler. Folgt man Schützes Ausführungen, so wäre er ohne Winkler gar nicht in die Branche gekommen.
Vor über zehn Jahren hatte der ihn in einem anderen Zusammenhang kennengelernt und dem gelernten Stahlbaumonteur, der nach der Wende zum Gas-Wasser-Installateur umschulte und später einen Hausmeisterservice hatte, gesagt, er würde gut in seinen Betrieb passen. Schütze: „Ich habe mich erst mal erkundigt, was er macht - und geschluckt.“ Und er habe seine Entscheidung davon abhängig gemacht, ob er Alpträume bekommt. Sie blieben aus, gottlob.
In den Jahren seiner Tätigkeit für das Beerdigungsinstitut hat der verheiratete Familienvater manches erlebt. Rührende Abschiedsszenen etwa in häuslicher Umgebung ebenso wie jene traurigen Fälle, wo niemand da ist, ein Mensch einsam stirbt und das Sozial- oder Ordnungsamt zum Ansprechpartner werden. Er wurde Zeuge von Streitereien unter Hinterbliebenen noch auf dem Friedhof, aber auch von besonderen Abschiedsfeiern, die ihn berührt haben wie jene in der hauseigenen Trauerhalle, bei der Freunde des relativ jung Verstorbenen selbigen mit Rammstein-Liedern auf seine letzte Reise schickten.
Seit Eintritt ins Bestattungswesen sieht Lutz Schütze Tod mit anderen Augen
Über die Bestattungskultur im Allgemeinen sagt Schütze, sie habe sich insoweit verändert, als zunehmend mehr Verstorbene in Urnengemeinschaftsanlagen („Auf der grünen Wiese“) beigesetzt werden. Ein Grund sei, dass Angehörige weit entfernt wohnen und die Pflege einer großen Grabstätte nicht gewährleistet werden kann. Auch Kostengründe führt Schütze an. Der Anteil der Einäscherungen liege heute, soweit er das beurteilen kann, bei „80 bis 90 Prozent“.
Dinge, über die sich Schütze vor seinem Eintritt in das Bestattungswesen vermutlich wenig Gedanken gemacht hat, was keine Schande ist. Die wenigsten Menschen denken in der Blüte ihres Lebens über das Ende nach. Für Schütze hat sich das geändert. „Man steht der Geschichte Tod anders gegenüber und sieht, zum Beispiel, auch einen Friedhof mit anderen Augen.“
Und seine Arbeit? „Ich bin hineingewachsen, es macht mir Freude.“ Zu sagen, es ist schön, sei freilich „relativ in unserem Beruf“. Und dann hat er, nach einem Credo befragt, einen Rat: „Lebe jeden Tag als wär’ es dein letzter.“ (mz)
