Abschied von Helmut Keitel Abschied von Helmut Keitel: Der Stadtbaumeister geht

Wittenberg - Zum Abschied haben ihm die Kollegen ein Stück Cortenstahl geschenkt. Es zeigt die Silhouette der Stadt Wittenberg. Helmut Keitel hat sie maßgeblich geprägt. Mitgeprägt, wird er im Laufe des Gesprächs noch mehrfach betonen, denn so etwas „geht natürlich nur im Team“.
Kaum ein Neubau, kaum eine Altbausanierung, an denen der Architekt und sein Büro nicht beteiligt gewesen wären. Vor 27 Jahren, die Wende war noch frisch, die Einheit nicht vollzogen, hatte sich der Direktor „Hauptauftraggeber komplexer Wohnungsbau“ (ein Instrument, mit dem die DDR die Wohnungsfrage lösen wollte, wie Keitel für die Nachwelt übersetzt) selbstständig gemacht: Mit drei Partnern gründete der heute 66-Jährige am 1. Juni 1990 die „bc Architekten + Ingenieure“ GmbH. Jetzt hört er auf.
Auf Partnersuche
In seinem schon halb ausgeräumten Büro, bei Adventskaffee und Lebkuchen - und selbst sehr aufgeräumt wirkend, lässt der gebürtige Gubener, Wittenberger seit 1961, die knapp drei Jahrzehnte Revue passieren. Wie man ihm in West-Berlin die Tür vor der Nase zuschlug, als er dort 1989 anklopfte auf der Suche nach Kooperationspartnern.
Wie er stattdessen verlässliche Partner fand in Göttingen, Wittenbergs Partnerstadt schon damals. Eine „Partnerschaft auf Zeit“, die die Zeit der Kooperation überdauerte: Als man vor wenigen Wochen Keitels Abschied groß feierte im Stadthaus, reiste auch der frühere Chef des Göttinger Büros an - mittlerweile 91 Jahre alt.
Weit über 600 Projekte sind in den 27 Jahren, in denen Helmut Keitel Geschäftsführer von „bc“ war, in dem Büro an der Lutherstraße erarbeitet worden - nicht alle freilich, schränkt der Architekt diese enorme Zahl ein, wurden auch verwirklicht. Wettbewerbsteilnahmen sind darunter, und so manches Vorhaben im Ausland schluckte auch die Weltpolitik.
Zwei Drittel aller Projekte, überschlägt Keitel, entfallen allerdings aufs Wittenberger Stadtgebiet, gebaut wurde außerdem im Landkreis, vor allem in der Kurstadt Bad Schmiedeberg, und darüber hinaus.
Tatsächlich verhält es sich mit der Lutherstadt so, dass es eher die Ausnahme ist, wenn ein Gebäude nicht von Keitels Büro gebaut wurde. Sie arbeiteten für die Stadt und die Wiwog, fürs Stift, für SKW... Große Baustellen von bc sind derzeit etwa der Neubau der Evangelischen Gesamtschule an der Friedrichstraße und das Rechenzentrum von Agrofert in Piesteritz.
Auf Lieblingsobjekte festlegen lassen möchte sich Keitel auch zum Abschied nicht, schon aus Respekt vor den Bauherren - dass es gelang, das Zeughaus zu retten, das vom Abriss- zum IBA-Objekt mutierte und heute Museum ist, erfülle ihn allerdings mit Freude und Stolz.
Für Keitel, der nach der Wende politisch von der LDPD zur FDP wechselte, ging die DDR offenbar genau zum richtigen Zeitpunkt unter. Er empfinde „unglaubliche Dankbarkeit, gestalten zu können“ - jenseits von „Baukapazitäten“ und „Bilanzanteilen“.
Dass Keitel als Akademikerkind nicht den geraden Berufsweg gehen konnte sondern den Hochbau quasi erst berufsbegleitend erlernte und zudem einen Umweg übers Rechenzentrum des Stickstoffwerks nahm, ist Teil der Geschichte - hat sich am Ende aber nicht als Nachteil erwiesen.
Auf gutem Weg
Die Stadt Wittenberg sieht ihr maßgeblicher Baumeister dank IBA (Internationale Bauausstellung 2010) und Reformationsjubiläum auf einem guten Weg. „Die Resonanz wird über viele Jahre anhalten“, so Keitel. Jetzt gehe es darum, „junge Menschen in die Stadt zu holen“, und hier spricht nun nicht der Architekt sondern das Mitglied des Vereins „Campus“, dessen Geschäftsführer er früher war.
„Kommunale Bildung“ und die Ansiedlung einer „höheren Bildungsstätte“ seien Ziele, die der Verein nun anstreben wolle - und er mit ihm.
Um die Zukunft des Architekturbüros ist dem zum Jahresende scheidenden Geschäftsführer nicht bange: Mit seinem Nachfolger Christoph Lück (46) verbindet ihn eine 20-jährige Zusammenarbeit. „Das Leben ist mehr als nur Beruf“, sagt Helmut Keitel, aber die meiste Zeit verbringe man eben doch mit/auf Arbeit, was sie bei bc immer berücksichtigt hätten: Beim „Kommunikationsfrühstück“ etwa kommt täglich auch Privates auf den Tisch.
Ja, es war eine schöne Zeit. Aber jetzt ist auch mal gut. (mz)



