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360 Grad Luther  360 Grad Luther : Yadegar Asisi will Rundumbild mit Wittenbergern gestalten

Von Julius Lukas 21.05.2015, 15:54
Einen Blick auf Rom im Jahr 312 gestaltete Yadegar Asisi bereits.
Einen Blick auf Rom im Jahr 312 gestaltete Yadegar Asisi bereits. dpa

Lutherstadt Wittenberg - In Berlin ließ er das antike Treiben rund um den Pergamon-Altar wieder auferstehen. In Leipzig tobt dank ihm noch immer die verheerende Völkerschlacht. Und Dresden beförderte er zurück in die Tage nach der Bombennacht im Februar 1945, als die Elbmetropole in Schutt und Asche lag. Der Künstler Yadegar Asisi hat auf seinen 360-Grad-Panoramen schon zahlreiche Zeitreisen unternommen. Nun kommt der gefeierte Architekt und Künstler erstmals nach Sachsen-Anhalt. Zum Reformationsjubiläum 2017 will er Wittenberg an den vielleicht wichtigsten Augenblick seiner Geschichte schicken: Den Thesenanschlag von Martin Luther 1517.

An diesem Mittwoch steht Asisi auf der historischen Stätte, dem Schlossplatz in Wittenberg, gleich neben der Kirche, an deren Tür der Reformator einst sein Papier befestigte. Asisis Haare sind hell, sein Teint dunkel. Er ist das Kind persischer Emigranten. Sein Vater, ein Kommunist, wurde im Iran des Schahs getötet, seine Mutter bekam Asyl in der DDR.

Auf dem Weg dorthin, in Wien, wurde Asisi 1955 geboren. Er lebte zuerst in Halle, später in Dresden. Dort und in Berlin studierte er Kunst und Architektur. Nach Wittenberg kam er vor fünf Jahren das erste Mal. „Damals merkte ich schon, dass der Schlossplatz und das, was hier passiert ist, mich beschäftigt“, sagt Asisi.

Zwölf Panoramen seit 2003

Im vergangenen Spätsommer gab es dann erste Kontakte mit der Stadt. Nun wurde das Projekt in seinem vollen Umfang der Öffentlichkeit präsentiert. Wittenberg soll ein Reformationspanorama bekommen. Ein Riesenrundbild, etwa 30 Meter im Durchmesser und 15 Meter hoch. Frühestens Ende 2016 wird es fertig sein. Eigens für das Werk soll eine Rotunde gebaut werden, ein kreisförmiges Gebäude, in dem das Panorama für mehrere Jahre hängt. Die genauen Kosten des Projektes sind noch nicht bekannt. Im Vorfeld wurde jedoch von bis zu fünf Millionen Euro gesprochen.

Zahlen interessieren Asisi auf dem Schlossplatz jedoch nicht. Ihm gehen andere Gedanken durch den Kopf. Er zeigt auf eine Seite des Platzes: „Dort endete früher Wittenberg. Es gab ein Tor, durch das man hinaus und herein kam“, erklärt Asisi. „Für mich ist nun die Frage: Wie kann ich dieses Gebiet dahinter, diese Weite, mit einbeziehen? Was soll dort passieren?“

Daran, dass das Reformationspanorama einer der Höhepunkte der 500-Jahr-Feier in Wittenberg sein soll, ließ bei der Vorstellung des Projektes gestern keiner einen Zweifel. „Es wird eine riesige Strahlkraft haben“, sagte Margot Käßmann, die Botschafterin der evangelischen Kirche für das Reformationsjubiläum 2017. Und Wittenbergs frisch gewählter Oberbürgermeister, Torsten Zugehör, meinte: „Künftig wird es bei uns heißen: Wittenberg und das Panorama von Herrn Asisi muss man gesehen haben.“

Dabei ist das Panorama durchaus auch ein finanzielles Risiko für die Stadt. Alle entstehenden Kosten werden von einer städtischen Gesellschaft getragen. So wird ein ehemaliges Kultur- und Tagungszentrum für den Neubau des Panorama-Gebäudes abgerissen. Hinzu kommen Kosten für die Herstellung des Werks sowie den Betrieb der Ausstellung. Mehrere Millionen Euro werden so zusammenkommen.

Zugehör ist trotzdem optimistisch: „Wir gehen davon aus, dass das Geld durch die Besuchereinnahmen eingespielt wird.“ Auch Käßmann, die Schirmherrin des Panoramas ist, hat keine Bedenken. „Allein zur Weltausstellung Reformation werden bis zu 5 000 Menschen täglich in Wittenberg erwartet.“ (jul)

Asisi, das merkt man schnell, ist fasziniert von dem Reformationsprojekt. Und das ist auch der wichtigste Grund dafür, dass es überhaupt realisiert wird. Seit 2003 stellt er seine Rundbilder her, zu Beginn ohne gesicherte Finanzierung. „Ich ging zu den Stadtwerken in Leipzig und sagte ihnen: Ich will in eurem alten Gasometer den Mount Everest entstehen lassen“, erzählt der 60-Jährige. Bis 2009 war das 360-Grad-Gemälde des größten Bergs der Erde in dem in „Panometer“ umgetauften Bau zu sehen. Elf weitere Panoramen hat er seitdem geschaffen.

Früher malte er noch viel mit dem Pinsel selber. Heute hilft ihm die digitale Technik. „Allerdings drücke ich nicht auf einen Knopf und alles entsteht von allein“, sagt er. Der Weg, bis das Bild fertiggedruckt auf Stoff in der Rotunde hängt, sei auch heute noch lang. Mit seinem Team sichtet Asisi Archive.

Tausende Male wird das Areal abfotografiert. Zum Teil sogar mit Statisten. Auch in Wittenberg wird es entsprechende Aufnahmen geben. „Das sieht dann aus, als würden wir einen Film drehen“, sagt er.
Über fünf Millionen Besucher haben seine Panoramen bisher gesehen. Er hat dieser Darstellungsform, die nach dem Aufkommen von Foto und Film im 19. Jahrhundert schon weitestgehend aus dem künstlerischen Repertoire verschwunden war, zu einer neuen Renaissance verholfen.

Seine Werke sind begehrt, weltweit sogar. Asisi kann sich mittlerweile aussuchen, mit wem er zusammenarbeitet. „Nachdem das Projekt mit Wittenberg jetzt öffentlich ist, werden sich wieder viele andere Städte melden, die auch ein Panorama wollen“, sagt er. „Aber ich bin ja kein Dienstleister, sondern Künstler.“ Dass er nach Wittenberg gekommen ist, liege an seiner Begeisterung für das Thema.

Asisi geht es dabei weniger um den einzelnen Moment des Thesenanschlags. „Das wäre für mich zu wenig.“ Viel mehr wolle er eine Entwicklung zeigen. „Mich beschäftigt, wie es dazu gekommen ist, dass Luther und auch andere aufgestanden sind und gesagt haben: So, wie die Kirche das macht, so wollen wir das nicht.“

„Wahrheit strebe ich nicht an“

Asisi bündelt deswegen viele Ereignisse der Reformationsepoche in seinem Panorama. Er selbst nennt das „Zeitverdichtung“. Schon in anderen seiner Werke zeigte sich, dass er ein Meister darin ist. „Vielleicht spielt Hexenverbrennung eine Rolle, vielleicht sind auch Ausschnitte des Bauernkriegs zu sehen.“ Schon diese Auswahl zeigt, dass Asisis Panoramen immer auch eine Art Zusammendichtung sind. „Wahrheit ist nicht, was ich anstrebe“, sagt er.
Ob die Szenen, die er darstellt, auch wirklich so passiert sind, sei für ihn nicht von Bedeutung. „Ich vertraue mehr und mehr meinen Gedanken zu dem Thema und den Verbindungen, die ich finde.“ Damit wolle er die Besucher vor allem faszinieren und den Eindruck erwecken, sie seien bei einem historischen Moment dabei gewesen: „Wenn sie aus dem Panorama rauskommen, sollen sie sagen: Ich stand auf dem Schlossplatz zu Luthers Zeiten.“ (mz)

Der Künstler Yadegar Asisi fotografiert vom Turm der Schlosskirche in Wittenberg.
Der Künstler Yadegar Asisi fotografiert vom Turm der Schlosskirche in Wittenberg.
Thomas Klitzsch Lizenz