Westpakete und ein Fluchtversuch
HOHENMÖLSEN/MZ. - Vom Mauerfall, ja da erzählen die Eltern öfter mal in diesen Tagen, berichtet Tom Hildebrandt. Immerhin gehörten sie zu denen, die gleich losgefahren sind, als am Abend jenes 9. November im Fernsehen Schabowskis legendärer Zettel auftauchte und Sätze von der freien Ausreise fielen, die die Welt verändern sollten. Die Eltern waren dabei in Westberlin, ließen sich treiben von der Euphorie des historischen Augenblicks. "Meine Mutter war wie erschlagen vom Angebot in den Geschäften", erzählt Tom. Und die Mutter sollte sich bald schon mächtig ärgern. Hatte sie doch erst zwei Wochen vorher eine neue DDR-Küche gekauft. . .
Die DDR und ihr jähes Ende ist auch in der Familie von Alexander Grün immer wieder ein Thema. Ist die Geschichte der Eltern doch in besonderer Weise mit der Wende verknüpft. Der Vater ist zu DDR-Zeiten beim Fluchtversuch in den Westen erwischt worden, saß ein Dreivierteljahr im Stasigefängnis in Dresden, wurde später vom Westen freigekauft. Die Mutter gehörte zu jenen ausreisewilligen DDR-Bürgern, die in der Prager Botschaft festsaßen. "Erst vor ein paar Wochen war ich mit meinem Vater im Museum in der Bautzener Landstraße in Dresden", erzählt Alexander Grün.
"Wenn Filme aus der DDR-Zeit im Fernsehen kommen, dann wird in der Familie immer viel erzählt", weiß Désireé Schrader. Wie es damals eben war, mit Westpaketen und ihrem typischen Seifengeruch, mit Schlager-Süßtafel und den Rockern von Karat und Karussell. In der Schule spiele die DDR und ihr Ende nur bedingt eine Rolle, berichten die Gymnasiasten. Neulich im Französisch-Unterricht, da habe man sich den Film "Das Wunder von Leipzig" über die Montagsdemos in der Stadt angesehen, erinnert sich Désireé.
Vieles von dem, was die Schüler über das Damals hören, ist für sie heute schier unvorstellbar. "Die DDR war doch ein riesiger Knast", glaubt Wiebke Prokop, die mit ihren 18 Jahren schon mehrfach Frankreich und etliche andere Länder dieser Welt besucht hat. Meinungsfreiheit, Reisefreiheit - ohne diese Werte wäre auch für Alexander Grün das Leben nicht denkbar. "Bei den Wahlen in der DDR hatte man doch nicht wirklich eine Wahl", weiß Tom Hildebrandt. Wie die anderen in der Runde auch hat er erst jüngst bei der Bundestagswahl von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht. "Wer nicht wählen geht, braucht hinterher nicht zu meckern", meint er. "In der DDR hatte man Geld und es gab wenig dafür zu kaufen, heute gibt es alles, aber nicht jeder hat das Geld dafür", sagt Melanie Neumann zu den Unterschieden zwischen den Zeiten jenseits und diesseits der Wende. Und Désireé Schrader gesteht, dass sie sich kaum vorstellen kann, jahrelang auf ein eigenes bescheidenes Auto warten zu müssen.
Wie sich die Leute damals gefühlt haben? "Ich glaube, dass viele Menschen in der DDR auf ihre Weise glücklich waren", sagt Melanie Neumann. Sie hätten sich eben eingerichtet in einer Welt, die sich vor zwanzig Jahren grundlegend ändern sollte.