Weißenfels Weißenfels: Schauer läuft über den Rücken
WEISSENFELS/MZ. - "Wir haben in der Neustadt gewohnt. Jedes Mal wenn Fliegeralarm war und die Sirenen ertönten, mussten wir in den Luftschutzkeller", erinnert er sich. "Mitten in der Nacht aus dem warmen Bett und dann die kalten Sachen anziehen, das vergesse ich nie." Als kleiner Junge habe er den Ernst der Lage, die Gefahr, nicht begriffen. Der Vater war selbst im Krieg, seine Mutter stand mit drei Jungen alleine da. "Die Mutter bläute uns ein, bei Sirenenalarm sofort in den Keller zu rennen. Ich habe das eher als Schauspiel verfolgt." Noch gut weiß er außerdem, dass viele Einwohner weiße Fahnen aus den Fenstern hingen, um zu signalisieren, dass sie die Stadt friedlich übergeben wollten. Die deutschen Soldaten hingegen hatten andere Befehle, nämlich bis zum bitteren Ende zu kämpfen. "Deshalb mussten leider 14 US-Infanteristen ihr Leben lassen."
Bernd Gaudig, der nach der 10. Klasse den Maurerberuf erlernte und als Bauingenieur arbeitete, kann sich noch an den Einmarsch amerikanischer Soldaten in Weißenfels im April 1945 erinnern. "Zum ersten Mal sah ich Apfelsinen. Anfangs dachte ich, es sind Tennisbälle." Und auch Kaugummi, den die Soldaten verschenkten, kannte der Sechsjährige damals nicht. Eines Tages sei eine amerikanische Musikkapelle durch die Stadt gezogen. "Wir Kinder hatten aber Angst und sind ausgerissen, weil wir gesagt bekamen, da wird geschossen."
Als am 21. April 2005 etliche amerikanischen Soldaten, die einst in Weißenfels kämpften, die Saalestadt besuchten, kam Bernd Gaudig mit ihnen ins Gespräch. "Ich wollte endlich Klarheit erlangen, wie sich die Kämpfe damals tatsächlich zugetragen haben." Doch die Soldaten und Offiziere, mittlerweile selbst im hohen Alter, konnten sich nicht mehr genau erinnern, wie die Gefechtshandlungen verliefen. Nur einer von ihnen wusste, dass die Einschüsse in das Weißenfelser Schloss von seiner Einheit stammen. Ungläubig habe der Mann auf die Löcher in der Wand geschaut, die noch heute gut zu sehen sind. Er habe die Welt nicht mehr verstanden, dass nach so vielen Jahren immer noch Spuren des Krieges vorhanden sind. "Die ehemaligen US-Soldaten wollten aber vor allem sehen, was aus Weißenfels geworden ist, wie sich unsere Stadt entwickelt hat", erzählt Bernd Gaudig.
Mit dem Krieg wird der Senior heutzutage immer noch konfrontiert - in den Nachrichten. Dann kann er nur mit dem Kopf schütteln. "Es ist Wahnsinn, was sich da abspielt, es ist ein Verbrechen." Es gehe um Macht und um das Öl, das Kapital steuere den Krieg. Doch es könnte alles friedlich geregelt werden. Dem stimmt Herbert Seitz zu. "Was Krieg bedeutet, habe ich in meiner eigenen Familie miterlebt", berichtet der 68-Jährige, der nach der 8. Klasse den Malerberuf erlernte und später als Komplex-Bauleiter arbeitete. Er war beim Einmarsch der US-Infanterie anderthalb Jahre alt und kannte Krieg nur aus den Erzählungen seiner Familie. "Ich habe das Elend an meinem Vater, der in Afrika eingesetzt war, gesehen. Er kehrte verletzt zurück in die Heimat, teilweise war er gelähmt und wurde mehrfach operiert. Als ich zehn Jahren alt war, starb er." Die Kindheitsjahre von Bernd Gaudig sind für immer eng mit Erlebnissen des Krieges verbunden. "Die kann man auch nicht irgendwie ablegen oder vergessen. Krieg ist etwas Schreckliches, das möchte ich nicht wieder erleben."