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Weißenfels Weißenfels: Mit Ruine soll Traum wahr werden

Von HOLGER ZIMMER 04.10.2011, 17:48

WEISSENFELS/MZ. - Ende gut, alles gut!? Enrico Kabisch, Vorsitzender des Vereins Simon-Rau-Zentrum, sagt: "Ich bin erst einmal glücklich, dass wir das ehemalige Gebetshaus der jüdischen Gemeinde erwerben konnten. Aber wer den baulichen Zustand sieht, weiß, was für Probleme noch auf uns zukommen." Der 33-Jährige steht in dem Hinterhaus in der Weißenfelser Nordstraße auf der Kellerdecke, von der er hofft, dass sie nicht genauso desolat ist wie das Dach über ihm. Das jedenfalls dient schon längst nicht mehr dem Zweck, das Haus vor der Witterung zu schützen.

Ein herabstürzender Schornstein beim Abriss eines Gebäudes auf dem Nachbargrundstück ist dafür die Hauptursache. Aber auch von der anderen Seite hat sich der schwere Ast eines Baumes auf das Dach gelegt. In den ehemaligen Büros, die zuletzt in den 1990er Jahren vom Wasserversorger Midewa genutzt wurden, riecht es nach modrigem Holz auf dem Boden. Alte Schuhe und Feuerwehrschläuche liegen umher, Tapete hängt von den Zwischenwänden, die den einst großen Gebetsraum zerstückelt haben. Hier hat Simon Rau bis zur Pogromnacht 1938 gepredigt und Religionsunterricht gegeben.

Das Simon-Rau-Zentrum hat für diese Ruine, die es derzeit ist, 3 500 Euro bezahlt. Als der Verein vor drei Jahren gegründet wurde, wollte er ursprünglich im Vorderhaus ein Museum einrichten. Dort sollte sowohl an den Namensgeber des Vereins, der in Weißenfels als letzter jüdischer Kantor wirkte, erinnert werden als auch an die Vertreibung der Weißenfelser Juden aus ihrer Heimat sowie ihre Verhaftung und Ermordung durch die Nazis. Mehr als 60 Bürger der Stadt - so jüngste Forschungsergebnisse - starben auch in den Gaskammern von Vernichtungslagern. Laut Kabisch lag die Gesamtzahl jüdischer Einwohner mit der Machtübernahme Hitlers bei mehr als 165.

An dieses dunkelste Kapitel deutscher Geschichte soll nun in einer Bildungs- und Begegnungsstätte, die in dem ehemaligen Gebetsraum entstehen soll, erinnert werden. Der Vereinsvorsitzende und seine Mitstreiter wollen vor allem die Jugend informieren. Dazu soll auch der Film "Alles, weil wir Juden waren - Zwangsemigrierte Weißenfelser und ihre Angehörigen" gezeigt werden. Er wurde zu Jahresbeginn uraufgeführt und lässt in Israel ansässige Überlebende des Holocaust ebenso zu Wort kommen wie deren Nachfahren. Ein weiterer Film ist in Vorbereitung, für den man in den USA auf Spurensuche gehen will.

Letztlich war der Kauf vor allem möglich, weil sich der Berliner Eigentümer des Grundstücks, Hans-Werner Linke, entgegenkommend gezeigt hatte. Ursprünglich wollte er es mitsamt einem Firmengebäude veräußern. Am Ende kam der Gebetsraum als Einzelobjekt zur Zwangsversteigerung. Und als sich bei dieser ein Interessent fand, der 500 Euro mehr als das Simon-Rau-Zentrum zahlen wollte, schlug Linke das Gebot aus, so dass nach der Einstellung des Verfahrens eine Einigung mit ihm möglich war.

Ob man verrückt sein müsse, um eine solche Ruine zu kaufen? Enrico Kabisch gibt zu: "Vielleicht. Aber auch mit verrückten Ideen kann man etwas bewegen." Jetzt soll eine Architektin das Haus in Augenschein nehmen, sagen, was machbar ist. Dann soll es im Frühjahr an die Aufräumungsarbeiten gehen, sollen zerschlagene Fenster geschlossen werden und soll zunächst ein Dach auf das Gebäude kommen. Auch ein Zugang zu dem Haus wird gebraucht. Es gilt, Gespräche mit den Eigentümern der angrenzenden Grundstücke zu führen. Darauf, wann man den Raum nutzen kann, will sich der Vereinsvorsitzende nicht festlegen. Immerhin muss man auch an potenzielle Geldgeber und Stiftungen herantreten, um die Mittel für die Sanierung aufzubringen. Demnächst übergibt bereits die Stadt 600 Euro, hatte sie sich doch bereit erklärt, vom Preis jeder Eintrittskarte beim Eröffnungskonzert des Schlossfestes einen Euro für das Simon-Rau-Zentrum zur Verfügung zu stellen.

Dass vom Gebetsraum nicht viel mehr als die Mauern stehen bleiben, ist für Kabisch klar. "Aber immerhin. Hier ist der Platz, an dem jüdische Bürger ihre Religion ausübten." Diese jüngste Entwicklung in Weißenfels wird auch in Israel wohlwollend aufgenommen. "Die Juden, deren Wurzeln an der Saale liegen, waren erfreut, als ich ihnen kürzlich ein Stück Mauerstein der alten Synagoge nach Israel mitgebracht habe."