Liebesglück im Heim Weißenfels: Dieses Paar ist geistig behindert und schwer verliebt

Langendorf - Ein Kasten Konfekt hat Thomas Walther gekauft. Damit wird er seiner Anita zum Valentinstag eine Freude machen. Auch zum Geburtstag der Liebe seines Herzens gab es Pralinen. Zu Weihnachten hatte er noch ein Malbuch gekauft.
Zärtlich streichelt der 47-Jährige die Hand der 52-Jährigen, rückt auf der Couch noch ein Stück näher an seine Angebetete. Kein Blatt Papier passt mehr zwischen sie. Sie legt den Kopf an seine Schulter. Die beiden sind versunken in Harmonie, Glück und Geborgenheit.
Heimliebe in Weißenfels: Seit drei Lahren sind die beiden ein Paar
Seit drei Jahren sind die beiden ein Paar. Vier Jahre lebt Walther im Betreuungszentrum „Christoph Buchen“ Langendorf. Für seine Partnerin ist die Einrichtung für geistig und körperlich behinderte Menschen seit drei Jahren ein Zuhause.
„Thomas’ Mutter war gestorben. Allein kann er sich kaum behelfen, also kam er zu uns, war traurig und sehr in sich gekehrt. Später, als Anita Sohr einzog, merkten wir, dass auch sie sich nach Zuneigung sehnte“, erinnert sich Heimleiterin Silvia Beck.
Zum Kuscheln geht Anita immer zu Thomas
„Ich fand die Anita schon nett. Wir haben erst auf der Terrasse gesessen und uns angeguckt“, schildert Thomas Walther, der fünf Jahre jünger als seine Freundin ist, die ersten Kontakte. Er habe ein Einbettzimmer. Couch, Fernseher, Tisch, Bett, Schrank. An der Wand hängen Kästen, in die Spielzeugautos aufgereiht sind. Auf dem Bett sitzt ein riesiger Plüschelefant.
Alles ist übersichtlich, gemütlich und aufgeräumt. Dafür sorgt er selbst, und darauf ist er auch sehr stolz. Anita Sohr wohnt mit einer anderen Frau im gleichen Haus. „Zum Kuscheln gehe ich lieber zu Thomas“, meint sie. Einen Schlüssel zum Zimmer habe sie jedoch nicht.
Heimleiterin in Weißenfels: „Für uns ist Sex kein Tabuthema.“
„Was sie in dem Zimmer tun, ist ihre Sache“, betont die Heimleiterin. Doch aus ihrer langjährigen Erfahrung weiß sie auch, dass Menschen mit geistiger Behinderung sich wie andere auch Freundschaft und Liebe wünschen sowie Gefühle und Lust haben.
In Langendorf leben im Betreuungszentrum 45 Frauen und Männer und elf in einer Außenwohngruppe. Hinzu kommen elf Tagesfördergäste. Im Pflegeheim werden 110 Bewohner betreut. „Für alle ist es ihr letztes Zuhause. Wir sind eigentlich ihre Familie“, ist von der pädagogischen Leiterin Kerstin Burchardt zu hören. „Für uns ist Sex kein Tabuthema“, sagt die Chefin.
Für Menschen mit geistiger Behinderung ist es schwer, im Heim Erfüllung zu finden.
Man beobachte die Mitbewohner, die im Alter zwischen Mitte 40 bis hochbetagt seien, und wisse so, was der einzelne brauche. Für Frauen und Männer mit geistiger Behinderung sei es nämlich nicht immer einfach, hier Erfüllung zu finden.
Die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme seien oft durch geringe Mobilität oder Verständigungsschwierigkeiten eingeschränkt. Auch das familiäre Umfeld reagiere nicht selten mit Ablehnung.
„Manchem reicht es, wenn Mitarbeiter ihn mal drücken und streicheln“, schildert Borchardt. Sie kenne schon ihre Pappenheimer. Alles bliebe im grünen Bereich. Nur ein einziges Mal habe es seitens eines Bewohners gegenüber einer Mitarbeiterin in einer Dusche einen schweren Übergriff gegeben. Der Mann sei verlegt worden.
So offen geht das Heim in Weißenfels mit dem Thema Sex unter Heimbewohnern um
„Es gibt aber auch unter unseren Bewohnern nicht wenige, die wollen ihre Sexualität mit sich allein ausmachen. Dafür schaffen wir entsprechende räumliche Möglichkeiten“, gibt Beck Einblick.
Sie habe auch nichts dagegen, wenn sich ein Mann oder eine Frau Liebe kaufen würde. „Auch da würden wir den Kontakt herstellen. Zuvor muss das natürlich mit dem entsprechenden Betreuer geklärt sein. Der sei auch dafür zuständig, wenn es um eventuelle Verhütungsmittel ginge. Es dürfe bei geistig behinderten Menschen nichts angeordnet oder erzwungen werden. „Es herrscht immer noch das Selbstbestimmungsrecht“, betont Silvia Beck.
Auch vor dem Hintergrund, dass aus einer Liebelei schließlich Ernst und damit auch eine Schwangerschaft entstehen kann. In Langendorf gab es bislang weder eine Schwangerschaft noch eine Hochzeit. „Dafür hatten wir mal eine achtfache, geistig behinderte Mutter“, erinnert sich die pädagogische Leiterin.
Beim Liebespaar im Heim in Weißenfels bleibt es beim Kuscheln und Küssem
Ob Anita Sohr und Thomas Walther sich je verloben oder einmal heiraten werden, steht in den Sternen. Nach dem Abendprogramm vor dem Fernseher und ein paar Küssen geht Anita über den Flur in ihr Bett. „Im Nachthemd habe ich sie noch nie gesehen“, ist von Thomas zu hören. Die Frau lacht verlegen. Nein, das will sie auch gar nicht. „Mir reicht das so. So ist das gut. Zusammen malen, einkaufen, fernsehen gucken, essen gehen und in den Urlaub fahren. Sex will ich nicht“, sagt sie und schaut nach unten.
Er druckst herum, antwortet nicht. Ob andere aus dem Heim Anstoß an ihrem Techtelmechtel nehmen würden? „Nein, hier sagt keiner was, obwohl wir zwei den ganzen Tag zusammen sind und Händchen halten“, plaudert der Mann. Fährt Anita Sohr mal zu ihrer Verwandtschaft, sei er nicht zu genießen. „Dann habe ich Sehnsucht“, sagt er mit klagendem Ton.
Über den Betten der beiden hängt ein und dasselbe Bild in Form eines Herzens: Thomas umschlingt mit seinen Armen Anita - und beide lächeln glücklich in die Kamera. (mz)