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Weißenfels Weißenfels: Auf den Spuren des Urgroßvaters

Von HEIKE RIEDEL 28.02.2011, 19:24

WEISSENFELS/MZ. - Er hält die Schächtmesser von Simon Rau in seinen Händen.

Der Amerikaner war am Wochenende auf Spurensuche in Weißenfels. Für den 20-Jährigen ist es die erste Begegnung mit der Stadt, in der sein Urgroßvater Simon Rau bis 1939 gewirkt hat. Damals waren Raus noch eine deutsche Familie. Sie gehörten zu den 150 Juden, die vor 1933 in Weißenfels gelebt haben. 1920 ist Simon Rau als Religionslehrer aus dem bayrischen Hirschaid an die Saale gekommen, war hier Kantor der jüdischen Gemeinde. Er habe gern in Weißenfels gelebt, das weiß sein 20-Jährige Urenkel Seth aus den Erzählungen der Familie. Dass diese nicht mehr hier, sondern in den USA lebt, daran ist die Naziherrschaft in Deutschland schuld. Durch ihre Flucht retteten Raus ihr Leben. Bis zuletzt hat Simon Rau sich mutig vor allem für die Kinder eingesetzt. "Er war ein sehr aktiver Mann in der Gemeinde - und nicht nur da", so das Bild, das der Urenkel von Simon Rau mitbekommen hat.

Drei Generationen weiter erlebt Seth Rau Deutschland jetzt. Sein Großvater hat das angeregt, nachdem er Deutschland besucht hatte. Seit einem Jahr lernt der junge Mann deswegen Deutsch, eigentlich ist Spanisch seine Fremdsprache. Ein Semester seines Politikstudiums absolviert Seth Rau an der Universität Freiburg im Breisgau, die EU-Politik steht da im Mittelpunkt.

Er nutzt die Gelegenheit, Weißenfels kennenzulernen. Enrico Kabisch empfängt ihn, der junge Mann, der in Weißenfels mit anderen gemeinsam das Simon-Rau-Zentrum gegründet hat, um sich des jüdischen Kantors zu erinnern und des Schicksals der Juden in Weißenfels. Er hat das auf seinem Plan, was sich wohl jeder Tourist in Weißenfels ansehen würde, aber besonders auch die Stätten des Erinnerns an die Weißenfelser Juden und Simon Rau - so das Gebäude der ehemaligen Synagoge in der Weißenfelser Nordstraße, das letzte Wohnhaus der Raus in der Merseburger Straße, die Stolpersteine mit den Namen ehemaliger Weißenfelser Juden und den jüdischen Friedhof.

Und er geht mit dem jungen Mann in die Verwaltungsräume des Museums auf Schloss Neu-Augustusburg. Als einzige Exponate der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Weißenfels sind dort die Schächtmesser seines Urgroßvaters aufbewahrt worden: verpackt in Papier, verschnürt und versiegelt, versehen mit dem Vermerk, dass sie 1933 - nach dem Verbot der Schächtung durch die Nazis - gesichert wurden. Wo sie verblieben waren und wer sie dem Museum übergeben hat, das weiß Museumsleiter Martin Schmager nicht. Eines der Schächtmesser fehlt noch. Es ist vermutlich rausgerutscht und in den Fundus falsch eingeordnet worden, sagt Maik Sachse, Museumsmitarbeiter.

Seitlich ist das grobe graue Papier aufgerissen. So kann der Inhalt - zwei der Messer und eine Einsteckhülle dazu - entnommen werden, ohne die Siegel aufbrechen zu müssen. Seth nimmt die Dinge vorsichtig in die Hand, schaut sie sich an, legt sie sich bereit, um ein Foto zu machen. Was er fühlt, vermag er nicht in Worte zu bringen. Es erinnert ihn an all das, was er vom Krieg und das Schicksal der Juden in Deutschland gehört hat.

Am Nachmittag will er mit Reinhard Schramm, der als Kind den Holocaust überlebt hat, noch nach Erfurt und Weimar weiterreisen, um dort noch mehr zu erfahren über das Kapitel Juden in Nazideutschland und den Umgang der Deutschen heute damit. So wie Eric Rau, Großvater von Seth, es bei seinem Besuch 2009 in Deutschland angeregt hat, sollen die Messer des Urgroßvaters im Simon-Rau-Zentrum ihre Heimat finden, sobald es Räume in der ehemaligen Synagoge in der Nordstraße beziehen kann.