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Leißlinger Eierbetteln Warum man als Strohbär mentale Stärke braucht

Kein Leißlinger Eierbetteln ohne Strohbär: Ehemalige Darsteller verraten jetzt, wie man den Tag im schweren Stroh-Kostüm durchsteht und welche Rolle Windeln dabei spielen.

Von Meike Ruppe-Schmidt 16.05.2024, 10:00
Bernhard Müller (l.) hat die Technik des Strohbärenbindens in den 80er Jahren gelernt. Inzwischen hat er seinen Neffen  Torsten Müller (M.) angelernt. Dessen Vater  Klaus Müller (r.) hilft mit anderen Vereinsmitgliedern bei der aufwändigen Prozedur mit.
Bernhard Müller (l.) hat die Technik des Strohbärenbindens in den 80er Jahren gelernt. Inzwischen hat er seinen Neffen Torsten Müller (M.) angelernt. Dessen Vater Klaus Müller (r.) hilft mit anderen Vereinsmitgliedern bei der aufwändigen Prozedur mit. Foto: Meike Ruppe-Schmidt

Leißling - Es ist das wohl bestgehütete Geheimnis in ganz Leißling: Wer schlüpft beim Eierbetteln in die Rolle des Strohbären? Am Sonntag, 26. Mai ist es wieder soweit und in dem kleinen Dorf steppt bei dem berühmten Straßenkarneval buchstäblich der Bär. Zu verdanken ist das der Familie Müller, die als einzige im Dorf die Jahrhunderte alte Technik des Strohbärenbindens beherrscht.

„Seit wann bei uns in Leißling Strohbären gebunden werden, weiß niemand so genau“, sagt Bernhard Müller. Er selbst habe die Technik in den 80er Jahren von Rolf Köhler erlernt. „Er war der einzigen im Dorf, der das Binden noch beherrschte und damals über 80 Jahre als. Hätten wir uns dem nicht angenommen, wäre die Tradition ausgestorben.“ Inzwischen hat Müller seinen Neffen Torsten angelernt. Und auch sein Bruder Klaus hilft mit anderen Vereinsmitgliedern beim Binden mit.

Drei Stunden dauert Prozedur der Verkleidung

„Wir verwenden langstieligen Roggen, den wir schon im Jahr zuvor mit der Sense ernten“, so Bernhard Müller. Das Roggen für den diesjährigen Bären stammt übrigens von einem Feld in Lobitzsch. Gelagert wird es auf dem Hof der Familie Scheunpflug, wo auch das Binden des Strohbären stattfindet.

„Dafür werden die Halme zunächst ausgelegt, gewässert und geplättet, um sie schön biegsam zu machen.“ Anschließend werden die Halme zu Bündeln gefasst. Jeweils zwei Bündel verknotet man zu einem langen Strang. „Diese Stränge werden dann um die Gliedmaßen gewickelt, wobei man mit den Beinen beginnt. Es folgen Arme und Oberkörper und am Ende bekommt der Strohbär seine Maske über den Kopf gestülpt.“ Die ganze Prozedur dauert etwa drei Stunden. Die ganze Zeit über muss der Strohbär übrigens stehen. „Zwischendurch wird das Stroh immer wieder gewässert, damit es nicht bricht.“

Mentale Stärke gefragt

Um den Tag im Stroh-Kostüm gut durchzustehen, sollte man körperlich gesund sein, wissen Torsten und Klaus Müller, die beide schon einmal in die Strohbären-Rolle geschlüpft sind. „Immerhin wiegt das Kostüm gut 25 Kilo.“ Doch Muskeln sind nicht das Entscheidende für die Rolle. Viel wichtiger sei die mentale Stärke an diesem Tag. „Man muss bedenken, dass man durch die dicken Strohschichten die ganze Zeit wie in einem Kokon eingehüllt und dadurch quasi abgeschnitten von der Außenwelt ist“, so Klaus Müller. „Man darf ganzen Tag nicht sprechen. Denn bis zur Demaskierung vorm großen Straßenumzug um 18 Uhr darf niemand wissen, wer unter dem Kostüm steckt.“

Die Strohmaske führe überdies dazu, dass man kaum etwas sieht. Darum benötige der Strohbär auch einen Führer, der ihn begleitet und auf Stufen und andere Hindernisse hinweist. Außerdem muss der Führer darauf aufpassen, dass niemand zu groben Schabernack mit dem Strohbären treibt. „Der Strohbär wurde früher verhauen, weil er die bösen Geister des Winters symbolisiert, die man beim Eierbetteln austreiben wollte.“ Dieser Brauch wurde inzwischen immerhin abgeschafft. Immerhin einen Vorteil habe die Strohschicht: „Man ist gut vor der Sonne geschützt.“ Ins Schwitzen komme man allerdings trotzdem durch die Bewegung. Und was trägt der Strohbär eigentlich unter seinem Kostüm? „Um sich vor dem stacheligen Stroh zu schützen, ist derbe Kleidung ratsam, am besten ein Blaumann“, so Klaus Müller. Schließlich wird das Stroh relativ fest um den Körper gebunden. „Arm- und Beingelenke werden dabei letztlich unbeweglich.

Toilettengang nicht möglich

Das heißt, dass der Strohbär auch nicht sitzen kann. Auch ein Toilettengang wird dadurch unmöglich.“ Doch was, wenn das kleine Bedürfnis zu dringend ist? „Hier gibt es vier Möglichkeiten“, verrät Bernhard Müller. „Manche halten es aus bis sie das Kostüm los sind. Wenn das nicht klappt, lässt man es entweder ins Stroh laufen, trägt eine Windel oder der Führer ist einem behilflich.“

Trotz der Strapazen gibt es laut den Müllers jedes Jahr genug Kandidaten für das Spektakel. „Es ist schließlich eine große Ehre, den Strohbären zu spielen.“ Im Nachhinein überwiege Freude und Stolz darüber, dass man es geschafft hat. „Während der Rede des Vereinspräsidenten in der Thüringer Pforte wird der Strohbär auf der Bühne von seinem Kostüm befreit“, so Klaus Müller. „Man man fühlt sich ohne die Kilolast plötzlich buchstäblich schwerelos, erntet Lob von allen Seiten. Und all das setzt dann zum Abschluss Endorphine ohne Ende frei.“

Leißlinger Eierbetteln am 26. Mai ab 14 Uhr. Parkmöglichkeiten am Shoppingcenter „Schöne Aussicht“. Von dort aus fährt regelmäßig ein Pendlerbus.