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Ein dicken Ordner und vier Mappen Sudetendeutschen im Burgenlandkeis übergeben ihre Chronik mit liebevollen Reiseberichten Weißenfelser Stadtarchiv

Nach ihrer Auflösung hat die Kreisgruppe der Sudetendeutschen ihre Chronik dem Stadtarchiv übergeben. Was Interessierte jetzt erfahren können.

Von Andreas Richter 16.10.2021, 16:00
Silke Künzel (li.) vom Weißenfelser Stadtarchiv übernimmt die Chronik der Sudetendeutschen von Maria Hannebach und Wilfried Schreier.
Silke Künzel (li.) vom Weißenfelser Stadtarchiv übernimmt die Chronik der Sudetendeutschen von Maria Hannebach und Wilfried Schreier. Foto: Andreas Richter

Weissenfels/MZ - „Irgendwann hat alles ein Ende“, sagt Maria Hannebach. Gerade hat die 80-Jährige zusammen mit dem zehn Jahre älteren Wilfried Schreier dem Stadtarchiv einen dicken Ordner und vier Mappen mit liebevoll gestalteten Reiseberichten übergeben. Es ist so etwas wie der letzte Akt der Geschichte einer Gemeinschaft, die es so heute nicht mehr gibt.

Geschichte der Sudetendeutschen im Burgenlandkreis soll nicht im Nebel der Geschichte verschwinden

Ende vergangenen Jahres hatte sich die Weißenfelser Kreisgruppe der Sudetendeutschen Landsmannschaft aufgelöst. Es ging nicht mehr, die Zeit war reif für einen Schlusspunkt. Rund 40 Mitglieder hatten sich im Juni 1991 zu einer Gruppe zusammengefunden, die sich die Erinnerung an ihre alte Heimat, das Sudetenland, auf die Fahne geschrieben hatte. In besten Zeiten waren es mehr als 100 Mitstreiter. Doch das Alter forderte seinen Tribut. Zum Schluss waren es kaum mehr 20 Mitglieder - bei einem Durchschnittsalter von 85 Jahren. „Eine Generation tritt ab“, hatte Wilfried Schreier, die letzten zwölf Jahre Vorsitzender der Gruppe, zu deren Auflösung gesagt.

Doch völlig spurlos will die Gemeinschaft nach drei Jahrzehnten dann doch nicht im Nebel der Geschichte verschwinden. Deshalb werden Chronik und Reiseberichte nun „öffentliches Archivgut“, wie es Leiterin Silke Künzel verwaltungstechnisch korrekt nennt. Zugänglich für jene, die sich irgendwann noch einmal dafür interessieren, was ihre Vorfahren so erlebt haben. Dann können sie in der Chronik erfahren, wie stolz die Gruppe im Jahr 2007 darüber war, dass nach langen Bemühungen ein Gedenkstein für alle Vertriebenen auf dem Weißenfelser Friedhof aufgestellt wurde.

Chroniken sind mit Liebe und Fleiß erarbeitet worden

Oder sie lesen vom Schlossfest des Jahres 2013, als im Festumzug jener original Handwagen mitfuhr, mit dem sich 1945 Vertriebene von Grottau (heute Hradek nad Nisou in Tschechien) in Richtung Westen aufgemacht hatten. „Der Handwagen steht heute bei mir zu Hause auf dem Boden“, erzählt Wilfried Schreier. Er gehört zu den knapp 3.000 Vertriebenen, die um 1947 in Weißenfels ein neues Zuhause aufzubauen versuchten. Seit 1965 lebt er nun in Langendorf. Mittlerweile ist er Ehrenbürger der Stadt Weißenfels. Der historische Handwagen, so hofft der 90-Jährige, könnte eines Tages seinen Platz im Museum auf dem Schloss finden.

Oder die Interessierten können sich davon überzeugen, mit wie viel Fleiß und Liebe zum Detail die Reiseberichte der Gruppe verfasst wurden. Der mittlerweile verstorbene Hans Schneider hat in Bild und kunstvoll geschwungener Schrift alles akribisch festgehalten. „Wir hatten so viele unvergessliche Fahrten“, schwärmt Maria Hannebach. Am nachhaltigsten sind die Erinnerungen an die Reisen in die alte Heimat, in den Böhmerwald oder ins Altvatergebirge.

Keine feste Gruppe mehr, aber an und ab ein Treffen

„Ein Höhepunkt war für mich auch, Wien kennenzulernen“, sagt Wilfried Schreier. Immerhin hat die Heimat seiner Kindheit bis 1918 zu Österreich-Ungarn mit der Kaiserstadt Wien gehört. „Mein Vater hat noch in der Armee der Monarchie gedient“, erzählt er. Ein bisschen „Schlauheit des braven Soldaten Schwejk und Wiener Charme“ machten schließlich das Besondere der Sudetendeutschen aus.

Doch nicht nur bei den Reisen lebten sie die Gemeinschaft. Fasching, Muttertag im Mai, der Heimatnachmittag im Herbst und Weihnachtsfeiern waren unverrückbare Termine im Jahreskalender. Eine feste Gruppe gibt es nun nicht mehr. „Wir haben aber immer noch den Wunsch, uns ab und an zu treffen“, sagt Wilfried Schreier. Dann halten die Übriggebliebenen die Erinnerungen wach, erzählen noch ein bisschen von einer Zeit, die irgendwann nur noch im Archiv lebendig werden kann.