Recherche im Tageblatt Recherche im Tageblatt: Rekonstruktion des Nazi-Terrors
Weissenfels/MZ - Ereignisse vor 80 Jahren! Es gibt sicher nur noch wenige Mitbürger, die sich daran erinnern können. So sind wir, die wir rückblickend das Geschehen vor 80 Jahren überdenken und zugleich Schlussfolgerungen für heutige ziehen wollen, auf das angewiesen, was uns Zeitzeugen schriftlich hinterlassen haben und was in Zeitungen darüber berichtet wurde. Für Weißenfels war es das „Weißenfelser Tageblatt“. Wir erinnern an den 4. März 1933, wir erinnern daran, wie in unserem Schloss und Schlossgarten faktisch ein Instrument des faschistischen Systems, die „Schutzhaft“ in einem Lager, später auch KZ genannt, eingerichtet wurde. Aus den verschiedensten Quellen wird ersichtlich, wie innerhalb weniger Wochen mit Mitteln des Rechtsbruchs, des Verfälschens des Wählerwillens und krimineller Energie, die Voraussetzungen zur Entstehung dieses Terrorinstrumentes geschaffen wurden. Wie innerhalb dieser Zeit brutal das normale bürgerliche Leben vieler Menschen und Familien zerstört wurde.
Am 27. Januar berichtete das Weißenfelser Tageblatt von der ersten Sitzung der Weißenfelser Stadtverordneten-Versammlung des Jahres 1933. Anträge und Gegenanträge, verbaler Schlagabtausch zwischen den Parteien, auch zwischen KPD und SPD. Eine ganz „normale“ Sitzung eben in dieser Zeit.
In diesen Tagen aber verhandeln in Berlin die bürgerlichen Parteien mit der NSDAP um die Bildung einer großen Koalition. Die „Bürgerlichen“ zieren sich, ihnen sind die Nazis nicht geheuer. Sie wollen deren Stimmen im Reichstag, aber die Macht behalten. Das Ergebnis wissen wir. Am 31. Januar wird Hitler Reichskanzler.
Auslöser Reichstagsbrand
Wenn man die Seiten der Februarausgaben des Tageblattes durchblättert, erfährt man, wie innerhalb weniger Wochen das Führungspersonal in Verwaltung, Justiz, Polizei zugunsten der Nazis ausgetauscht wird, dass schließlich die SA in eine Hilfspolizei mit allen polizeilichen Rechten umgewandelt wird. Am 3. Februar wird ein Demonstrationsverbot für Kommunisten ausgesprochen. Die SA greift weiterhin Mitglieder und Veranstaltungen der KPD und SPD an.
Der Weißenfelser Werner Bergmann hat für diesen Beitrag im Stadtarchiv recherchiert, vor allem in den Ausgaben des Weißenfelser Tageblatts aus dem Jahr 1933. Der ehemalige Lehrer ist heute 83 Jahre alt, hat Geschichte studiert und interessiert sich weiter für die Historie. Bergmann war für die Linke 15 Jahre Stadtratsmitglied und ist noch als sachkundiger Einwohner im Stadtentwicklungsausschuss aktiv. (ze)
So kommt es am 17. Februar zu Auseinandersetzungen bei einer SPD-Versammlung im Stadttheater. Der Höhepunkt der Vorbereitung eines Staatsstreiches, sprich Ermächtigungsgesetz, ist schließlich der Reichstagsbrand am 27./28. Februar 1933. Jetzt geht das Naziregime mit allen Mitteln gegen die KPD und ihre Mitglieder vor.
Mit Unterstützung durch die Staatsgewalt, insbesondere durch die Justiz und Polizei, durchsuchte die SA Parteibüros und verhaftete KPD-Funktionäre. In der Nummer 55 des Weißenfelser Tageblattes vom 6. März 33 wird von der Verhaftung von 68 Kommunisten berichtet, 31 in Weißenfels, 22 in Merseburg und neun in Zeitz. Zeitzeugen berichten, dass in diesen Tagen die Zahl viel höher war. Diese Festgenommenen gehörten sicher zu den ersten Häftlingen im Schloss „Neu Augustusburg“.
Am 12. März, in dieser Zeit größter Demagogie und extremsten Terrors, fanden Gemeindewahlen statt. Wie viel Mut und Überzeugung muss jemand aufbringen, in dieser Situation für eine der Arbeiterparteien und insbesondere für die KPD zu kandidieren. Welches Vertrauen die Wähler in die Kandidaten setzte, zeigt das Wahlergebnis, das im Tageblatt veröffentlicht wird. Bei einer Wahlbeteiligung in Weißenfels von 81 Prozent stimmten für die SPD 3 493 Bürger, bei der vorhergehenden Gemeinderatswahl waren es 4 967; Für die KPD stimmten 4 989 Wähler, bei der vorhergehenden Wahl waren es 4 861. Für die Nazis änderte sich das Wahlergebnis von 764 auf 8 770. Ein gewaltiger Zuwachs, aber nicht zu Lasten der Antifaschisten.
Die in die Weißenfelser Stadtverordnetenversammlung gewählten KPD-Abgeordneten Otto Hofmann, Hans Frahnert, Walter Tanneberger, Anna Klette, Paul Rosenkranz, Ernst Klette, Otto Hartmann, August Schellenberger konnten ihr Mandat nicht antreten. In der Nr. 66 vom 18. März berichtet das Tageblatt vom Ausschluss der Kommunisten aus allen Parlamenten.
Viele von ihnen befanden sich zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr in Freiheit.
Wie überall in Deutschland feierten die Faschisten und ihre Verbündeten ihren Sieg in diesem Staatsstreich. So auch in Weißenfels.
Am 8. März berichtet das Tageblatt von einer Flaggenhissung und einer Parade auf dem Schlosshof. Polizei, Hilfspolizei, SA und SS defilierten vor hochrangigen Polizeioffizieren und örtlichen Nazigrößen.
Am 18. März dann das Kreistreffen der SA auf dem Markt mit anschließender Kundgebung in der überfüllten Marktkirche, die mit SA-Standarten geschmückt war (siehe Weißenfelser Tageblatt vom 20. und 22. März).
Mutige Weißenfelser
Aufrechte Antifaschisten haben in dieser Zeit große Standhaftigkeit bewiesen, besonders wenn sie öffentlich auftraten. Deshalb möchte ich einige mutige Weißenfelser nennen. Auf der Liste der SPD standen unter anderen: Max Wieglepp, Franz Engel, Otto Bühnert, Paul Saupe, Franz Müller, Karl Schulz.
Auf der der KPD unter anderen: Otto Hofmann, Hans Frahnert, Walter Tanneberger, Arno Eichfeld, Anna Klette, Ernst Klette, Paul Rosenkranz, Otto Hartmann, August Schellenberg. Für den Kreistag kandidierte Minna Warthold aus Langendorf.
Angesichts der heutigen Naziumtriebe wäre ihr Vermächtnis an uns: „Der Schoß ist fruchtbar noch aus dem das kroch“ (Brecht) oder auch „Menschen seid wachsam“ (Fucik).