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Nietzsche-Gedenken in Röcken Nietzsche-Gedenken in Röcken: Guter Vater schlimme Zeit

Von Julia Reinard 26.08.2013, 18:27
Nietzsche-Gedenken in Röcken in der Kirche: Ralf Eichberg hielt den Vortrag.
Nietzsche-Gedenken in Röcken in der Kirche: Ralf Eichberg hielt den Vortrag. Peter lisker Lizenz

Röcken/MZ - „Was, meinst Du, will aus diesem Kindlein werden?“, fragt Pfarrer Carl Ludwig Nietzsche bei der Taufpredigt seines Erstgeborenen Friedrich 1844 in der Kirche von Röcken. Das Kindlein, „der kleine Fritz“, wird später gegen dieses christliche Elternhaus rebellieren, die Philosophie mit seinen Werken revolutionieren, ein Mann mit mächtigem Schnurrbart, der sich am pastoralen Elternhaus abarbeitet. Warum, das versuchte Ralf Eichberg in genau der Kirche zu ergründen, in der dieser Satz einst fiel. Er hielt – mit Notizen des erkrankten Klaus Goch - einen Vortrag über Carl Ludwig Nietzsche, dessen 200. Geburtstag sich im Oktober jährt.

Gegen rationalistische Theologie

Carl Ludwig Nietzsche entstammt „einer langen Reihe protestantischer Geistlicher“. Sein Opa hatte es bis zum Superintendenten gebracht. Er wurde in Eilenburg geboren, besuchte das Roßlebener Gymnasium, später die Universität in Halle. Dort sei er mit der rationalistischen, der aufgeklärten Theologie konfrontiert worden, sagt Eichberg. Doch anfreunden konnte er sich mit ihr nicht – er habe sich stattdessen der sogenannten Erweckungsbewegung angeschlossen. Auch dies eine Bewegung, zu der sich viele Theologen bekannten, die – wie Nietzsche Senior – „die Verfallenheit an die Sünde“ in den Mittelpunkt des Glaubens rückten, die eine Nähe zu Gott dadurch zu erreichen hofften, dass man sich zu seinen Sünden bekennt.

Die theologische Auseinandersetzung drang bei Carl Ludwig Nietzsche bis ins Private. Er wurde vom preußischen König als Landpfarrer in Röcken eingesetzt und besuchte Kollegen in der Gegend. Dabei lernte er im Haus David Ernst Oehlers in Pobles dessen jüngste Tochter Franziska kennen. Sie schreibt später über das Kennenlernen, dass die Töchter des Hauses „dem schönen Herrn Pastor nachschauten“, er nennt sie „geliebtes Fränzchen“. Die zwei heiraten aus Liebe. Doch ihre Familie lehnt er ab – Oehler neigt nämlich jenem verhassten Rationalismus zu, in seinem Haus herrscht wildes Leben, zu wenig Zucht für den Geschmack des Röckener Pfarrers. Zum Teil verbietet er seiner Familie den Kontakt nach Pobles.

Drei Jahre Leidenszeit

Für seinen Sohn Friedrich ist sowohl das Theologische als auch dieser Haushalt ein Anknüpfungspunkt. Nach des Vaters Tod verbringt er manchen Sommer in Pobles, sich durch die dort zur Bibliothek gehörende klassische Literatur lesend.

Und doch: Für den kleinen Fritz ist „die Pfarrhausidylle erst mal ungetrübt“, sagt Eichberg. Musikerziehung gehört dazu, zur Dorfschule muss er nur über den Hof und Schläge, die es bei dem „wilden Knaben“, so der Vater, gibt, gehören überall dazu. Als der Junge zwei Jahre alt ist, beginnt des Vaters Leidenszeit. Eichberg über den Beginn: Am Neujahrstag 1846 wollte der Pfarrer seine Predigt halten, doch er weinte, zitterte am ganzen Leib, verließ das Gotteshaus. Er kehrte zwar zurück, brachte die Predigt „mühsam“ zu Ende, aber war dann eine Woche lang krank.

Er wird behandelt, aber nicht geheilt. Ein Bekannter beschreibt: Carl Ludwig Nietzsche sei matt, wolle aber nicht im Bett bleiben; er könne nicht sehen; zwar denken, aber sich nicht an den Beginn eines Satzes erinnern, wenn er an dessen Ende kommt. „Gehirnerweichung“ ist die Diagnose. Er stirbt 1849. Für Sohn Friedrich ein Schock, etwas, das an den Grundfesten seines Glauben rührt. Seine Theodizee-Erfahrung, die Eichberg zuspitzt auf: „Warum lässt der Herrgott zu, dass sein frommer Diener so qualvoll sterben muss?“ – Eine Frage, die ihn prägen wird.