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Kasse kehrt ins alte Geschäft zurück

Von HOLGER ZIMMER 02.11.2008, 17:40

GROSSKORBETHA/MZ. - Zum 145. Laden-Jubiläum hatte Marthel Langbein sogar jene alte Kasse zur Verfügung gestellt, mit der sie beruflich groß geworden ist. Die heute 68-Jährige begann 1961 im Geschäft der Handelsorganisation (HO) in der Weißenfelser Straße zu arbeiten, wo sich heute das Laden-Café befindet. Ein Jahr später zog sie mitsamt der Kasse in ein neues Domizil in der Bahnhofstraße und das alte Geschäft wurde vom Konsum übernommen. Hier gab es fortan Industriewaren. Als die Kasse Anfang der 70er Jahre durch eine neue ersetzt wurde, sorgte Frau Langbein dafür, dass das gute Stück nicht auf dem Müll landete und nahm es am Ende ihres Berufslebens mit nach Hause. Dort stand die Kasse in der Küche und diente der Aufbewahrung auch von Kleingeld und Reißzwecken. Inzwischen aber hat sie in Berneckers Café ihre alte Heimat wiedergefunden, denn Frau Langbein sagte: "Behaltet sie, hier gehört sie hin."

Gründer stirbt auf Tanzboden

1863 war es Christian Heinrich Kühn, der einen Eisenwarenladen gründete. Er kam aus Kriechau. Allerdings brachte ihm das neue Geschäft kein Glück, denn schon kurz nach der Gründung starb er beim Erntedankfest 43-jährig auf dem Tanzboden. Er hinterließ seine Frau Juliane Amalia und vier Kinder. "All das steht in keiner Chronik, ist aber verbrieft", äußert Uta Bernecker, die Ur-Ur-Enkelin. Denn ihr Mann Dieter hat bei den Recherchen alte Kirchenchroniken gewälzt und immerhin hatte der damalige Pfarrer selbst den plötzlichen Tod Kühns untersuchen lassen. Einer musste laut Uta Bernecker den Laden übernehmen und so folgte der 1859 geborene Adolf Kühn der Mutter später als Chef.

Neben der Familiengeschichte gab die Café-Betreiberin Einblicke in die Großkorbethaer Geschichte aus jener Zeit, als der Ort noch Corbetha hieß. Da ist in einem Schriftstück davon die Rede, dass hier der Fortschritt spurlos vorübergegangen wäre. Die Straße sei nicht gepflastert, Gärten und Höfe nicht ordnungsgemäß eingefriedet. Die Zeiten änderten sich und später konnten nicht mal mehr Gänse wegen des Verkehrs auf die Straße.

Ab den 20er Jahren prägte Kurt Kirchhof, den Adolf Kühns Tochter Erna mit ins Haus brachte, das Geschehen. Der Naumburger studierte damals noch, erwarb ein Diplom, beherrschte Wirtschaftsrussisch, Englisch sowie Spanisch und betrieb in der Weißenfelser Straße einen Eisenwaren- und Kolonialwarenladen sowie eine Tankstelle. Die erwähnte Kasse dürfte laut Uta Bernecker von ihm angeschafft worden sein. 1927 wurde Kirchhof Ortsvorsteher und hatte wesentlichen Anteil daran, dass die Gemeinde 1929 eine neue Schule bekam. 1945 war er wegen seiner Sprachkenntnisse Ansprechpartner für die Amerikaner im Ort.

Luftpost kommt aus Hawaii

Aus der Nachkriegszeit hat auch die Künstlerin Lore Sprenger noch ihre Erinnerungen an ihn und schildert ihre Erlebnisse als Neunjährige. Der Geschäftsmann übersetzte seinerzeit nämlich regelmäßig Luftpost aus Hawaii, die ihr Elternhaus erreichte. Im Herrenzimmer mit den zahllosen Büchern, in dem ihr alles bedeutend erschien, lernte sie ihre ersten englischen Worte und sich mit Goodbye verabschieden. Die Briefe kamen von einer amerikanischen Operationsschwester, die ihren Sohn im

Krieg verloren hatte und nun ein Kind aus Deutschland großziehen wollte.

Jene Jahre in der gerade gegründeten DDR, in denen dem Geschäftsmann Kirchhof das Leben schwer gemacht wurde, kennt Uta Bernecker selbst nur aus den Erzählungen der Eltern. Es gab Auflagen, an deren Ende in den 50er Jahren die Zahlungsunfähigkeit stand. "Die HO siegte und übernahm das Geschäft." Selbst 2003 hätte sie sich nicht vorstellen können, wieder nach Großkorbetha zurückzuziehen, bekennt Frau Bernecker. "Doch die Zeiten ändern sich." Und 2007 eröffnete sie ein Laden-Café dort, wo schon ihre Vorfahren ein Geschäft betrieben haben.