Flüchtlingswelle Flüchtlingswelle: Zehntausende kamen 1945 nach Weißenfels

Weissenfels - Im Mai 1945 ging der Zweite Weltkrieg mit 55 Millionen Toten, darunter mehr als 30 Millionen Zivilisten, zerstörten Städten und Betrieben mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands zu Ende. Die Menschen hofften auf den Aufbau eines völkerverbindenden friedlichen Zusammenlebens und die schnelle Überwindung der durch die Kriegsgeschehnisse verursachten Notstände. Doch diese Wünsche wurden durch gehegte Nationalstaatenideen und deren Realisierung durchkreuzt und nahmen bereits im Juni mit der wilden Vertreibung Form an.
Mit den Potsdamer Beschlüssen (17. Juli bis 2. August 1945) wurde die Überführung der deutschen Bevölkerung aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn von den Siegermächte beschlossen. Da sich die westlichen Besatzungsmächte aber eine Prüfung der Aufnahmemöglichkeiten vorbehalten hatten, war die Aufnahme der Vertriebenen in der ersten Phase von der Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone zu tragen. Die Heimatvertriebenen, hier Flüchtlinge, die später Umsiedler genannt wurden, kamen in ein Gebiet, deren Bewohner sie aus eigenen Existenzsorgen eigentlich nicht wollten.
Kein Bekenntnis in der DDR
Bis Oktober 1946 kamen allein in die Stadt Weißenfels 13 122: Für den damaligen Landkreis waren es gar 43 836 Vertriebene. Die Belastungen, die diese Eingliederung, verbunden mit Wohnungsbeschlagnahme, Quartiereinweisung mit sich brachten sind für die Heutigen kaum vorstellbar. Die Wohnfläche pro Einwohner betrug damals in Weißenfels 4,96 und im Landkreis 7,94 Quadratmeter. Hinzu kamen die missliche Ernährungslage und der Kohlemangel.
Über den Verlust der Heimat und die durchlebten Grausamkeiten zu sprechen war in der DDR tabu. Ein offenes Bekenntnis zu ihrer Identität und zur Pflege ihres Brauchtums war den Vertriebenen in der DDR nicht möglich. Die Erlebnisgeneration der Vertriebenen konnt hier weder eine Stammestradition pflegen noch ihren Kindern anerziehen. Sich öffentlich zu ihren Urväterstamm zu bekennen und zu organisieren, war den in der DDR lebenden Vertriebenen erst nach 45 Jahren im wiedervereinigten Deutschland möglich.
So bildete sich im Juni 1991 in Weißenfels die Kreisgruppe der Sudetendeutschen Landsmannschaft (KG SL), die unter dem Vorstand der Herren Sturm, Rößler und Haase schnell 40 Mitglieder zählte und sich bald auf gut 110 Mitglieder erweitern konnte. Als Herr Sturm krankheitsbedingt aufgeben musste, wurde 1993 Anni Schneider zur Obmännin der KG SL gewählt. Wurde anfangs mit Großveranstaltungen durch Gesang- und Tanzdarbietungen Heimatstimmung geweckt, wurde alsbald die Vertiefung der menschlichen und heimatbezogenen Zusammenarbeit, Gemeinschaftsstreben primär. Man traf sich nun alljährlich auf vier selbst ausgestalteten Veranstaltungen. Ferner nutzte man gemeinschaftlich die von der Kreisobmännin organisierten Mehrtagesbusfahrten in die „Alte Heimat“ wie in die Tschechoslowakei. Auch diese Fahrten prägten die Zusammengehörigkeit. Auch Tagesfahrten, zum Beispiel zum Besuch des in Lehesten im Thüringer Wald nachgebauten Altvaterturms, hatten sudetenländischen Heimatbezug.
2007 konnte die Kreisgruppe auf Feld IX. des hiesigen Friedhofes einen Gedenkstein für die Toten der Vertreibung einweihen, der für alle Vertriebenen-Toten steht, unabhängig aus welchem Rayon. Bei den alljährlichen Gedenkfeiern wird auch der Opfer des Holocaust, der Bombenangriffe sowie aller gedacht, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem anderen Volk oder einer anderen Rasse verfolgt und getötet wurden oder auf der Flucht zu Tode kamen.
Im Vordergrund des Wirkens der KG SL, insbesondere der Heimatnachmittage, stehen die Bemühungen um versöhnende Annäherung zum Heimatstaat durch wahrheitsgerechte Betrachtung der einstigen Geschehnisse. Es geht nicht darum, die Schrecken der Vertreibung zu instrumentalisieren, sondern gemeinsam die Zukunft zu gestalten, Brücken zu bauen, Kulturgüter und Brauchtum zu pflegen, die Geschichte im Sinne des Friedens aufzuarbeiten.
Immer weniger Mitglieder
Bedrückend ist allerdings für die hier in der Landsmannschaft organisierten der Erlebnisgeneration, der biologisch bedingte Mitgliederschwund, denn die Nachhfolgegenerationen haben hier (im Unterschied zu den alten Bundesländern), bedingt durch die politischen Verhältnisse in der DDR, keine ausgeprägten Stammesbeziehung, so dass kaum neue Mitglieder gewonnen werden können. Durch Tod oder chronische Erkrankung sank so in den 25 Jahren des Bestehens der Kreisgruppe die Mitgliederzahl auf 30 Prozent.
Nur wenige der Nachfolgegeneration sind verbandsinteressiert. Die Mitglieder der Kreisgruppe möchten nicht, dass ihre Geschichte, Kultur sowie ihr Brauchtum nur in Museen verwahrt, sondern auch in Sachsen-Anhalt weiter gelebt wird, ist doch die Vielfalt der Stämme mit ihren Traditionen auch Reichtum der Völker. (mz)