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Flucht vor den Nazis Flucht vor den Nazis: Australische Familie auf dem Weg zu den Wurzeln

Von Birger Zentner 28.08.2013, 08:39
Daniel, Georgie, Sana und Michael Gottschalk (v. li.) am Müller-Kaufhaus, dem früheren Joske-Kaufhaus, in dem Michaels Großvater arbeitete.
Daniel, Georgie, Sana und Michael Gottschalk (v. li.) am Müller-Kaufhaus, dem früheren Joske-Kaufhaus, in dem Michaels Großvater arbeitete. Peter Lisker Lizenz

Weissenfels/MZ - „It’s a very nice town.“ Sana Gottschalk sagt es auch noch ein weiteres Mal. Damit man es auch glaubt, dass Weißenfels eine sehr hübsche Stadt ist. Zusammen mit ihrem Mann Michael Gottschalk steht sie in der Jüdenstraße vor dem Müller-Kaufhaus. Beide schauen an der Fassade hoch, blicken dann über den Markt hinauf zum Schloss. „It’s a very nice town“, wiederholt die 55-Jährige Australierin.

Dabei sind die beiden zusammen mit ihrem Sohn Daniel und dessen Freundin Georgie gar nicht vordergründig gekommen, um die Stadt anzusehen. Sie wollen wissen, wo Michaels Großeltern einst hergekommen sind, ehe sie in Australien heimisch geworden sind. Gertrud und Kurt Gottschalk sind 1938 aus Weißenfels vor den Nazis geflohen. Im März, ein halbes Jahr bevor der Terror der Nazis gegen die Juden in der Pogromnacht eskalierte. Zusammen mit Michaels Vater, der damals knapp vier Jahre alt war, haben sie die Reise um den halben Erdball angetreten, um nicht das Schicksal von Millionen anderer Juden zu teilen.

Großeltern waren fertig mit Deutschland

Auf Spurensuche nach den Wurzeln seiner Familie ist Michael Gottschalk gegangen. „Ich hatte das schon vor mehr als 30 Jahren vor, aber dann hat es nicht geklappt“, erzählt der Bauingenieur aus Perth in ausgezeichnetem Deutsch. Dass er die Sprache gelernt hat, war gar nicht so selbstverständlich in seiner Familie. „Im Haus meiner Großeltern wurde nie deutsch gesprochen“, erinnert er sich. Sie waren, was kein Wunder ist, fertig mit Deutschland, nach der Flucht, erst recht, nachdem der Völkermord der Nazis an den Juden offenbar wurde. „Mein Vater hat sogar 1953 seinen deutschen Namen abgelegt und sich Verner Leslie Gooch genannt“, erzählt Michael, der im Jahr darauf geboren wurde und als Erwachsener dann wieder den Namen Gottschalk angenommen hat.

Dennoch war der Vater zwischendurch wieder in Weißenfels. Michael vermutet, dass er 1972, als er die Olympischen Spiele in München besuchte, einen Abstecher nach Weißenfels in der DDR gemacht hat. Sicher ist er sich nicht, in den Gesprächen mit dem Vater sei das nie ganz klar geworden. „Ganz bestimmt war er aber 1986 hier und hat sich sein Geburtshaus in der Katharinenstraße 3 angeschaut.“ Leider habe der Vater damals vor dem falschen Haus gestanden. Die Familie habe in der Katharinenstraße 30 gewohnt, wie Michael jetzt weiß.

Spurensuche nach Familie Gottschalk

Dass er es weiß, hat er Enrico Kabisch vom Weißenfelser Simon-Rau-Zentrum zu verdanken. Das arbeitet die Geschichte der Weißenfelser Juden auf, erforscht deren Schicksal und erhält die Erinnerung daran lebendig. Benannt ist es nach dem letzten Rabbiner von Weißenfels, „der übrigens meine Großeltern getraut hat“, sagt Michael Gottschalk.

Michael selbst stand auch schon einmal Anfang der 1980er Jahre kurz davor, nach Weißenfels zu kommen, als er für ein halbes Jahr in Heidelberg gearbeitet hat. „Es war schwer, eine Genehmigung zu bekommen, aber dann wurde meine Mutter krank und ich musste nach Hause.“ Die Reise war vertagt, bis heute.

Enrico Kabisch war auf der Spurensuche nach der Familie Gottschalk. Nach einigen Sackgassen kam über Facebook der Kontakt zu Michael und Sana Gottschalk zustande. Und da das Paar ohnehin die Absicht hatte, nach Europa zu reisen, weil der Sohn und dessen Freundin in London leben, bot sich der Abstecher nach Weißenfels an.

Viele Eindrücke und Fotos im Gepäck

Und für den 31-jährigen Daniel und die ein Jahr jüngere Georgie war es gar keine Frage, die Eltern zu begleiten. Für den jungen Mann ist es wahnsinnig interessant zu erfahren, wo die Urgroßeltern hergekommen sind, wo der Großvater geboren wurde, und auch, wie heute in Deutschland mit der Geschichte umgegangen wird. Alle vier zusammen lesen am Eingang zur Jüdenstraße die Informationstafel über Naziherrschaft, Rassengesetze und Judenverfolgung. Daniel wie Michael sind zudem angerührt von der Tatsache, dass es in Deutschland Menschen gibt, die sich mit der Geschichte beschäftigen, die an die Opfer erinnern.

Gegenüber der Tafel im heutigen Müllerkaufhaus hat die Firma Joske ein Kaufhaus betrieben. Und Michaels Großvater hat dort gearbeitet. Ein Gottschalk war dort auch Gesellschafter. Wie die verwandtschaftlichen Verhältnisse waren, ist aber noch ungeklärt. Da konnte auch Michael bislang nicht zur Erhellung beitragen.

Die Familie hat mittlerweile wieder die Heimreise angetreten. Daniel und Georgie nach London, Sana und Michael nach Perth, im Gepäck viele Eindrücke und Fotos. Auch für den Vater, der 81-jährig in Perth lebt und gespannt auf die Berichte des Sohnes aus und über Weißenfels gewartet hat.