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Ein Fremdgeschriebener kommt heim

Von Petra Wozny 16.03.2008, 17:43

Hohenmölsen / MZ. - Geschallert wird und getrunken - auch das verlangt die Tradition. Dann endlich ist es soweit: Christian Schlegel tritt aus der Menge. Kräftig wirft er den Stenz, seinen Wanderstock, über das Ortseingangsschild. Hinterdrein folgt der Charlottenburger, jenes Bündel von etwa sieben bis zehn Kilo, in dem sich seine ganze Habe befindet. Schließlich klettert er selbst über das Schild - und ist daheim.

Viereinhalb Jahre Wanderzeit liegen hinter dem 32-Jährigen mit dem langen, blonden Zopf unter dem schwarzen Lederhut. "Das Wiederkommen ist schwieriger als das Gehen. Es ist so endlich", ist sein erster Eindruck, noch übermannt von der Freude,seinen Vater und die Schwester, viele Kumpel, Freunde und Verwandte wieder in die Arme schließen zu können.

Christian ist Zimmermann. In der Heimat hatte er keine Arbeit gefunden, lebte von Minijobs und dem Traum, richtig ranklotzen zu dürfen. Die Mutter unterstützt ihn in seinem recht ungewöhnlichen Vorhaben, auf die Walz gehen zu wollen. Vater Wolfgang traut ihm diese harte Tour nicht zu.

Christian wird ein Fremdgeschriebener, wie die Wandergesellen genannt werden und gehört der Vereinigung der rechtschaffenen fremden Zimmerer- und Schieferdeckergesellen Deutschlands - der ältesten Vereinigung von Wandergesellen im Land - an. Sie hat auch einen Sitz in Halle. "Du musst eine abgeschlossene Gesellenprüfung vorweisen, ledig, schuldenfrei und kinderlos sein", erzählt er. Gezählt werde auf Ehrlichkeit, Redlichkeit und Ordnung. Mit Beginn der Wanderjahre, die mindestens drei Jahre und einen Tag andauern müssen, darf der Geselle sich seinem Heimatort nur bis auf 50 Kilometer nähern. In der Regel "tippelt" er drei Monate, sprich: Er ist auf Wanderschaft. Findet er Arbeit, bleibt er ein paar Monate, lässt sich vom Job, der reizvollen Landschaft und den schönen Mädchen inspirieren, erklärt der Hohenmölsener das immer wiederkehrende Ritual.

Besiegelt werden die Arbeitsverhältnisse im Wanderbuch. Etwa 800 deutsche Gesellen befinden sich jährlich auf Wanderschaft - 30 beenden pro Jahr ihre Zeit in der Fremde. Im ersten Jahr lebt und arbeitet der junge Mann aus Hohenmölsen im deutschsprachigen Raum. "Ich habe ziemlich schnell gelernt, mit Minimalien zurecht zu kommen", sagt er. Auf Deutsch heißt das: etwas Unterwäsche, Socken, Waschzeug, ein T-Shirt, Werkzeug, den Pass und der Lohn. Kein Auto, kein Computer, kein Handy. Nur einen Fotoapparat habe er sich geleistet. Das meiste Geld gebe ein Wandergeselle für derbe Schuhe und für die Flüge in andere Länder aus. "Du bist zu Fuß unterwegs oder trampst. Öffentliche Verkehrsmittel sind bei uns verpönt", sagt er. Herbergen, Scheunen, Sporthallen, Hotels und bei Mutter Natur sind sein Obdach. Einmal sogar eine Ausnüchterungszelle auf einer Polizeistation. Freiwillig, grinst Christian.

Ab dem zweiten Wanderjahr habe es ihn in die wirklich große Welt gezogen. Australien, Tasmanien, Malaysia, Grönland, Schottland, Dänemark - unterm Strich arbeitet er in 16 Ländern der Erde. "Das ist kein Tourismus. In jeder Firma, in jedem Land wird anders gebaut. Da habe ich unglaublich als Zimmermann gelernt, gleichzeitig aber auch enorm viel Menschenkenntnis gewonnen." Er erlebt das große Gefühl der Freiheit, aber auch Geburtstage, Weihnachten und Stunden, in denen er fremd in der Fremde ist. Wandergesellen gebe es zwar auf der ganzen Welt, bekannt seien sie jedoch nicht jedem Land. Manchmal sei er aufgrund seiner schwarzen Kluft angesprochen worden, ob er Jude sei. "Ich habe auch mal von der Hand in den Mund gelebt, meistens aber immer Hilfe erfahren. Es ging mir überwiegend gut", bilanziert er seine Wanderschaft. Ebbe im Geldbeutel oder ein leerer Magen seien schnell vergessen gewesen, wenn es einen neuen Job gegeben habe. Handwerker sind in aller Welt gern gesehene Leute, hat er erfahren. Das richtig Schlimme habe ihn zu Hause, in Hohenmölsen, ereilt. Seine Mutter ist im vergangenen Jahr gestorben - da habe er seine Wanderjahre für ein paar Wochen unterbrochen. Jetzt, sagt er ruhig, wolle er erst einmal ankommen. Ob es eine Punktlandung nach der langen Abwesenheit ist, kann er nicht einschätzen. Eines weiß er: "In Grönland ist es zwar elend kalt, aber dort kriege ich sofort Arbeit."