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Burgenlandkreis Burgenlandkreis: Gerti will der nächste OB werden

Von PETRA WOZNY 10.09.2010, 19:11

WEISSENFELS/MZ. - Gerti Lucke will Oberbürgermeisterin von Weißenfels werden. "Ich habe das Engagement, das Wissen, die Leidenschaft, das politische Interesse - und ich bin transsexuell." Im engen Minirock zeigt sie Bein und kampflustig mit dem Zeigefinger auf das Rathaus. "Dort will ich rein." Die 48-Jährige ist sich bewusst, dass sie den Weißenfelsern in rund fünf Jahren erklären muss, bis vor einem Jahr noch Gerald und ein Mann gewesen zu sein. Gerti redet offen über ihren Geschlechts- wandel. Er, der Gerald ist Vergangenheit. Jetzt gibt es nur noch sie, die Gerti.

Gerald wurde als Nachzügler geboren. Im Kindergarten kapselte er sich ab, mochte nicht auf Bäume klettern oder Kräftemessen. Mit Zwölf schminkte er sich heimlich. "Da habe ich mich wohlgefühlt", erinnert sich Gerti. Die Mutter habe es gemerkt, aber unter den Teppich gekehrt. Der Vater habe es offen- sichtlich nie erfahren. Der wollte immer einen Jungen. So einen, der später mal richtig seinen Mann steht. Über Sexualität wurde auch während der Pubertät des Jungen nie geredet. Der Gerald ist eher romantisch, liest gern, mag Musik und ist ein stiller Typ.

Um später studieren zu können, ging Gerald zur Armee. "Es war eine Qual. Ich empfand die kompakte Männerwelt als belastend. Manchmal habe ich allein auf dem Klo gesessen und geheult. Danach habe ich wieder meine Rolle gespielt. Ich wusste, dass irgendetwas mit mir war. Aber erklären konnte ich es nicht."

Jahre ging das so. Gerald studierte Wirtschaftswissenschaften und arbeitete als Ökonom in Halle. Es habe Phasen gegeben, wo er "das" abgehakt hat. Und es habe Phasen gegeben, wo er im Alkohol eine Antwort auf das Unbestimmte in seinem Körper suchte. Um feste Beziehungen drückte er sich. Familienoberhaupt oder gar der Herr im Haus wollte er nicht sein.

2001 lernte Gerald Swetlana kennen - eine Moskauerin. Wie er ist sie Ökonomin. Die Chemie stimmte zwischen beiden. Sweta ist ihm Frau und Kumpel, tolerant, liebevoll, geistreich und stark. Ein Jahr darauf wurde geheiratet. In Gerald brodelte es trotzdem weiter. Ein Psychologe sagte ihm während einer Kur auf den Kopf zu, dass das Problem was er habe, er selbst sei. Gerald suchte nach Informationen im Internet und im Fernsehen, fand sich in der Beschreibung der Transsexualität wieder. Das Outing 2009 habe er nicht geplant. "Es war wie ein Blitz. Du stehst noch auf als Mann und dann sagst du dir, jetzt ist Schluss. Jetzt machst du deins - als Frau."

Von da an ist Gerald auf dem Weg zur Gerti. Er begibt sich in medizinische und psychologische Betreuung, kauft sich Damengarderobe, Schmuck und Schminke. Mit seiner Frau redet er, als die Hor- montherapie bereits begonnen hatte. Sie weint, und sie weint viel. "Neun Jahre Ehe. Gerald ist so ein toller Mann. Das kann es doch nicht gewesen sein", schildert Swetlana.

Hormonbehandlung beginnt

Ihr Gerald jedoch redet Klartext: "Es wird kein Zurück mehr geben. Ich will nicht mehr als Mann leben und dennoch meine Frau behalten." Swetlana ist traurig. Der neue Vorname Gerti kommt nicht über ihre Lippen. Die Stimme ihres Geralds und der Charakter sind geblieben. Zu Hause ist ihr Partner nach wie vor ihr Mann.

Da hilft es möglicherweise, dass Gerti sich für die "kleine Lösung" der Geschlechtsänderung entschieden hat. An sich "Rumschnippeln" lassen will sie nicht. Die männlichen Geschlechtsorgane behält sie. Die Hormontabletten bewirken, dass die Gesichtszüge weicher werden und die Brust wächst. Gerti kichert: "Und du riechst nicht mehr nach Männerschweiß." Zur kleinen Lösung gehört die Namensänderung. Wenn das unabhängige Gutachten vorliegt - es muss die Behandlung nachweisen und, dass sich der Transsexuelle drei Jahre offen zum anderen Geschlecht bekannt hat, können die neuen Papiere beantragt werden. Das Diplom, die Heiratsurkunde, der Pass - alles wird dann umgeschrieben. Nur die Geburtsurkunde bleibt wie sie ist.

Probleme mit dem Ausweis

Gerti will zuerst einen neuen Personalausweis. Legt sie ihren jetzt vor, gibt es Irritationen. Das Passfoto zeigt ihn als Mann mit Schnauzer und Krawatte. Jetzt trägt sie Make-up, flotte Kleider und Schuhe mit hohen Absätzen. Homosexualität sieht man meist nicht, Transsexualität hingegen schon. Das ist ihr bewusst. Wenn Frauen Hosen tragen, ist das normal. Schlüpfen Männer allerdings in einen Rock, dreht die Welt durch, sagt Gerti. Aufklären über den Weg vom Mann zur Frau beziehungsweise von der Frau zum Mann will die Weißenfelserin. Transsexualität sei wie eine Behinderung. Man habe sie schon vor der Geburt in sich. "Das wird jedoch häufig überbewertet und als unnormal abgetan", erzählt Gerti.

Rund 60 000 Transsexuelle soll es in Deutschland geben. Nicht immer würden sie Normalität erleben. "Auch von mir haben sich Freunde abgewendet und Bewerbungsgespräche sind vor den Baum gegangen." In einem Leipziger Unternehmen, wo sie sich jüngst bewarb, hat Gerti jetzt Aussicht, als Sachbearbeiterin für Finanzen zu arbeiten. "Ich hoffe auf Toleranz, wie ich sie in Weißenfels zum Sachsen-Anhalt-Tag erlebt habe." Dort habe Gerti zum ersten Mal auf der Straße erfahren, dass sie nicht als Exot beäugt wurde.

Fachkompetenz soll überzeugen

Das erwartet sie auch in der kommunalen Arbeit. "In einer Partei bin ich nicht, aber gesellschaftspolitisch interessiert. Für mich zählt die Fachkompetenz. Die demonstriere ich offen. Wenn ich mich der OB-Wahl stelle, dann als Frau. Ich will nicht aus reißerischen Gründen gewählt werden, sondern weil die Weißenfelser von meinen Fähigkeiten überzeugt sind. Die Transsexualität ist nur eine Seite meines Lebens. Als Oberbürgermeister wäre sie für mich absolut Wurst."