1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Weißenfels
  6. >
  7. Buchlesung: Buchlesung: Wenn die Erde aufhört sich zu drehen

Buchlesung Buchlesung: Wenn die Erde aufhört sich zu drehen

Von klaus-dieter kunick 20.11.2013, 08:18
Annette Rexrodt von Fircks bei ihrem Vortrag in Leißling - sie erzählte einfühlsam über ihre Krebserkrankung, die sie gemeistert hat.
Annette Rexrodt von Fircks bei ihrem Vortrag in Leißling - sie erzählte einfühlsam über ihre Krebserkrankung, die sie gemeistert hat. peter lisker Lizenz

leissling/MZ - Es gibt Redner, denen könnte man stundenlang zuhören. Genauso muss es den gut 20 Besuchern ergangen sein, die im Hotel „Schöne Aussicht“ in Leißling verfolgten, was Annette Rexrodt von Fircks zu sagen hatte. Sie stellte ihr neues Buch „Im Mittelpunkt Leben - Wieder stark werden nach Brustkrebs“ vor.

Harte Diagnose

Dabei war es gar nicht das Buch an sich, das die Zuhörer fesselte, denn die Frau aus Ratingen las nur wenige Seiten daraus vor. Was die Gäste, zumeist Frauen, in den Bann zog, das waren die Ausführungen von Annette Rexrodt von Fircks, die als Mutter von drei kleinen Kindern (drei, fünf und sieben Jahre) im Alter von 36 Jahren die Diagnose Brustkrebs im fortgeschrittenen Stadium erhielt. „Die Erde hörte einfach auf, sich zu drehen“, berichtete die heute 51-Jährige. Eine Überlebenschance von 15 Prozent (!) räumten die Ärzte ihr ein. Die hätten bereits den Ehemann der Frau angesprochen, er möge sich nach einer „Ersatz-Mutter“ für die Kinder umschauen. „Statistisch betrachtet stand ich auf der Verliererseite.“

Es gibt kein Patenrezept

Die Frau aus Ratingen (Nordrhein-Westfalen) erzählte ihre Geschichte sehr emotional. „Viele, die mir schreiben, wollen ein Patentrezept. Sie wollen wissen, wie ich das geschafft habe. Aber das Rezept gibt es nicht“, erklärte sie. Jeder müsse eine eigene Strategie entwickeln. „Ein Faktor ist entscheidend, und das ist die Hoffnung.“ Die Hoffnung sei ihr Antreiber gewesen. Einem Arzt habe sie wörtlich gesagt: „Wenn Sie mir die Hoffnung nehmen, dürfen Sie nicht mehr mein Zimmer betreten.“ Aber ihr seien auch immer wieder Gedanken durch den Kopf geschossen: „Was ist, wenn du es nicht schaffst? Diese Gedanken muss man aber durchbrechen.“ Nicht die Erkrankung habe sie in den Mittelpunkt gestellt, sondern die Hoffnung. „Ich habe mich für das Leben entschieden.“ So habe sie die Chemotherapie nicht als Gift angesehen, sondern als Freund, mit dem sie sich selbstverständlich auch mal streiten werde. Und sie habe sich selbst Fragen gestellt: „Was kann ich selbst tun, damit ich gesund bleibe? Welche Möglichkeiten liegen in mir? Welche Alternativen gibt es?“ Annette Rexrodt von Fircks sprach von den Kostbarkeiten des Augenblicks, die sie erst erkannt habe, als „ich die Zerbrechlichkeit zu spüren bekam und es hieß: leben oder sterben.“

Bewegende Einblicke

Und noch etwas schien vielen Anwesenden unter die Haut zu gehen: Ihre schonungslose Ehrlichkeit: „Mama, musst du sterben? Wenn wir deine Gene haben, müssen wir sterben. Da brauchen wir nicht in die Schule zu gehen, waren die Fragen meiner Kinder“, so die Frau aus Ratingen. „Mein Sohn Lionel machte sich auch Sorgen darüber, was passiert, wenn Papa so krank würde.“ Jeder Zuhörer konnte sich in diese Situation gut hineinversetzen und hatte ein Bild von der Familie vor Augen.

Es war spannend, an dem Abend mitzuverfolgen, wie Annette Rexrodt von Fircks über ihre Krankheit berichtete. „Jedes Medikament, das ich einnahm, habe ich als Freund gesehen. Das sehe ich heute noch so. Ich habe mit meinen Organen gesprochen und mir wurde die Kraft der Gedanken bewusst“, sprach sie zu den Gästen.

Der Wille zu leben

Nahe am Ende der knapp zweistündigen Lesung kamen von der 51-Jährigen jede Menge gute Worte zur gesunden Lebensweise. „Ich esse achtsamer, Essen kann so viel Freude machen.“ Und sie bewege sich in der Woche mehrmals, aus dem Grund habe sie sich ein kleines Trampolin zugelegt. „Bewegung ist Leben.“ Sie tue sich Gutes, reibe ihre Fußsohlen mit Lavendelöl ein, das habe eine beruhigende Wirkung. Und es gehe ihr um Rituale: Sich am Abend im Bett selbst in den Arm zu nehmen und schöne Momente des Tages Revue passieren zu lassen, das halte sie für ebenso wichtig wie den Spruch vom Sänger der Beatles John Lennon: „Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.“ Was Annette Rexrodt von Fircks erlebte, trug sie sanftmütig vor, dezent, jeder Besucher hätte die berühmte Stecknadel fallen hören können. „Es war ein wunderbarer Vortrag. Ich hatte Brustkrebs und weiß, wie man sich fühlt. Ich konnte mich gut in sie hineinversetzen“, sagte am Ende eine Zuhörerin. Eine andere Frau meldete sich tags darauf in der MZ-Redaktion zu Wort: Sie habe schlechte Erfahrungen mit Behörden gemacht. Auch sie hatte Brustkrebs, sollte zu einer Kur fahren, die aber dreimal abgelehnt wurde. Eine Mitarbeiterin einer Krankenkasse habe zu ihr wörtlich gesagt: „Fahren Sie doch in den Urlaub!“ Krankenkasse und Rentenversicherung hätten sich den schwarzen Peter zugeschoben. „Wie es mir erging, danach haben die sich gar nicht erkundigt.“