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Aktionstag in Weißenfels Aktionstag in Weißenfels: Selbsthilfegruppen stellen sich vor

Von PETRA WOZNY 02.11.2014, 18:57
Egon Stürtze, Manuela Onemichl und Nico Hahn (v.l.) sind krank. In Selbsthilfegruppen finden sie Halt und Gleichgesinnte.
Egon Stürtze, Manuela Onemichl und Nico Hahn (v.l.) sind krank. In Selbsthilfegruppen finden sie Halt und Gleichgesinnte. Peter Lisker Lizenz

Weissenfels - „Alt wie ein Baum möchte ich werden“, schmettern die Senioren des Chores vom Weißenfelser Wohnpark Töpferdamm. Und nichts Sehnlicheres wünschen sich all jene, die an diesem Samstag Selbsthilfegruppen aus dem Burgenlandkreis im Kulturhaus Weißenfels aus Anlass des dritten Aktionstages vorstellen.

Erfahrungsaustausch ist wichtig

Die Frauen und Männer aus den Gruppen haben Krebs, leiden an Depressionen oder Rheuma, sind medikamentenabhängig oder spielsüchtig. Nico Hahn hat mit Morbus Crohn eine heimtückische Darmerkrankung. Die Hälfte seines Lebens schränkt sie den 36-jährigen alleinerziehenden Vater bereits ein. „Ich darf nur fünf Kilo heben, muss ständig in meiner Nähe eine Toilette haben, sonst geht gar nichts“, erklärt er einige Probleme, die letztlich auch dazu geführt haben, dass der junge Weißenfelser arbeitslos ist. 2002 gründete er die Selbsthilfegruppe für Morbus-Crohn-erkrankte Menschen. Etwa 20 Mitglieder habe sie. „Drei sind mittlerweile gestorben. Ja, wir heulen uns mal aus. Das Wichtigste ist aber, dass wir Erfahrungen austauschen. Bei welcher Krankenkasse bist du gut aufgehoben, welche Medikamente sind neu auf dem Markt, was ist bei familiären Problemen hilfreich, sie zu lösen“, nennt er Themen der Zusammenkünfte.

Sport gegen Gelenkschmerzen

In der Selbsthilfegruppe der an Rheuma erkrankten Menschen steht darüber hinaus der Sport ganz oben, erzählt Manuela Onemichl, die stellvertretende Leiterin dieser Gruppe. Die gelernte Industriekauffrau ist aufgrund ihrer chronischen Gelenkschmerzen arbeitslos. Gerade früh habe sie geschwollene Hände. Die Zahnbürste falle ihr genau so aus der Hand wie ein Kamm. „Du kannst die Kaffeetasse nicht heben und dein Kind nicht anziehen“, beschreibt die zweifache Mutter, was Rheuma mit einem Menschen macht. „Du wirst bewegungsunfähig. Aber die so Betroffenen stecken den Kopf nicht in den Sand“, erklärt sie selbstbewusst. „Was wir tun, tun wir für uns selbst, doch gemeinsam geht es besser“, findet sie. Die Selbsthilfegruppe sei 2000 gegründet worden.

Organisiert wurde der Tagdurch die Gleichstellungs- und Behindertenbeauftragte der Stadt Weißenfels, Katja Henze, und die Leiterin der Selbsthilfekontaktstelle Burgenlandkreis, Monika Küßner.

Jörg Freiwald (Die Linke), Stadtratsvorsitzender von Weißenfels, begrüßte im Namen von Vertretern aus Politik und Gesellschaft die Mitglieder der Selbsthilfegruppen und Dienstleister. „Ich möchte nicht eine der Krankheiten haben, aber wenn man eine hat, muss man damit umgehen lernen. Da stimmt es optimistisch, was die Selbsthilfegruppen an Lebensfreude aufbringen“, sagte er. (zny)

Zum Entzug gezwungen

Fast ebenso lange gibt es in Zeitz die Selbsthilfegruppe der alkoholkranken Menschen. Egon Stürtze leitet sie. „Wir waren mal an die 20 Betroffene. Einige sind weggestorben. Gegenwärtig sind wir fünf“, erzählt der Zeitzer, den es einst schlimm erwischt hatte. Er redet offen über seine Krankheit. Schon als junger Mann habe er täglich einen Kasten Bier und mindestens eine Flasche Hochprozentigen getrunken, griff auch zu reinem Alkohol. „Natürlich blieb das nicht ohne Folgen. Die Frau ist weggelaufen. Wer will schon mit einem ständig besoffenen Mann das Leben verbringen?“, sagt er. Die Kinder wendeten sich ab. Die Arbeit als Agrotechniker war auch futsch. „Ich fing morgens schon an zu trinken. Irgendwann war ich unten. Die Leber war kaputt, die Nieren auch. Meine eigene Mutter zwang mich zum Entzug. Recht hatte sie“, sagt der heute 61-Jährige. Seit über einem Jahrzehnt hat er keinen Tropfen Alkohol angerührt und arbeitet jetzt in einer Behindertenwerkstatt. „Ich bin zurück im Leben und will anderen Betroffenen Mut machen: Du kannst das auch.“ Stürtze lebt allein, aber seine Kinder haben wieder zu ihm gefunden. „Die sind richtig stolz auf mich“, sagt er. Auch dies sei ein Ergebnis der Selbsthilfegruppe. Im Burgenlandkreis gibt es fast 100 Selbsthilfegruppen. Jeder gehören durchschnittlich acht Mitglieder an.

Informationen gibt es bei der Selbsthilfekontaktstelle Burgenlandkreis, Monika Küßner, Am Kalktor 5 in Zeitz, 03441/72 59 73. (mz)