200 Gramm Gift im Kaffeewasser
LÜTZEN/MZ. - Fünffacher versuchter Mord. Heute muss sich ein 53-jähriger Sachse diesem Vorwurf am Landgericht in Halle stellen. Er soll am 29. März 2010 im Büro einer Lützener Firma, in der er angestellt war, knapp 200 Gramm Gift in den Wasserbehälter der Kaffeemaschine geschüttet haben und damit beinahe den Tod der Kaffeetrinker erreicht haben. Die Tat streitet der Angeklagte ab. Doch die Staatsanwaltschaft will mit Beweisen aufwarten, die unter anderem aus einer Hausdurchsuchung stammen.
Weil eine der fünf Büroangestellten noch nicht zum Kaffeetrinken gekommen war, konnte sie schnell medizinische Hilfe holen, als vier ihrer Kollegen Magenkrämpfen und Schwindelanfällen bekamen. "Das war knapp am Tod vorbei", wurde dem Geschäftsführer viel später klar. Einer der vier Geschädigten wurde nach Halle ins Krankenhaus geflogen. Der Chef selbst kam mit den anderen ins Weißenfelser Asklepiosklinikum. Seine Frau wurde gerufen und darauf vorbereitet, dass er die nächsten Stunden nicht überleben könnte. Wenn sie heute daran denkt, treten ihr wieder die Tränen in die Augen.
Polizei und Gewerbeaufsicht hatten Ermittlungen aufgenommen. Was war die Ursache der Vergiftungen? Ein Arbeitsunfall? Der ABC-Trupp der Feuerwehr fand nichts. Die Kripo stellte alle möglichen Quellen sicher. Auch das Kaffeegeschirr war dabei. Dass dort die Erklärung lag, kam ziemlich spät zutage. Denn einen Giftanschlag hatte niemand vermutet. Die Aufklärung wurde schwierig. "Wochenlang haben wir gesucht, um das Gift zu identifizieren", sagt Oberstaatsanwalt Hans-Jürgen Neufang. Drei Personen kamen unter Verdacht. Bei einer verdichtete sich der dann deutlich. Viel Zeit ging noch ins Land, bis Indizien und Beweise für die Anklage reichten.
Zwischenzeitlich hat die Geschäftsleitung der Firma sogar eine Niederlage beim Arbeitsgericht einstecken müssen, weil sie den Tatverdächtigen entließ. Der Arbeitsrichter erteilte dem Arbeitgeber Auflagen, die diesen am Rechtssystem zweifeln lassen. "Ich habe kaum geglaubt, dass es noch zur Erhebung einer Anklage kommt", so der Geschäftsführer nun bezüglich der Straftat. Gern möchte er, dass sich die Gerechtigkeit durchsetzt. Er könne sich selbst kein Motiv vorstellen, das den Angeklagten zu dieser Tat getrieben hat. Der Mann sei immer wieder arbeitslos gewesen und eingestellt worden, weil ihm zugetraut wurde, als Chemiker mit Statistiken umgehen zu können. Laut Staatsanwaltschaft könnte allerdings ein seit langem gestörtes Verhältnis des Angeklagten zur Geschäftsleitung des Unternehmens Hintergrund sein. Das Schwurgericht versucht, sich nun ein Bild zu machen. Zehn Verhandlungstage hat es dafür angesetzt.
Die wühlen alles noch einmal auf, befürchten die Mitarbeiter im Büro. Nach zweieinhalb Jahren ist vieles geistig verarbeitet, auch im Geschäftsleben wieder Normalität eingezogen. Zwei Büromitarbeiter haben nach den Vorfällen allerdings gekündigt, weil sie jeden Tag die Angst mit zum Arbeitsplatz begleitete. Sie haben Lücken im Betrieb hinterlassen. Selbst Firmenkunden kamen ungern und mancher lehnte das Kaffeeangebot ab.
"Das hat wirtschaftlich damals richtig gerumpelt", sagt der Geschäftsführer. Von den seelischen Schäden mag er gar nicht sprechen. "Ich muss die Firma leiten und entwickeln, trage die Verantwortung für 47 Mitarbeiter, die wiederum Familien haben", mit diesen Worten lässt er Gefühlen keine Chance, ihn vom Weg abzubringen. "Ich werde meine Aussage machen wie jeder andere. Ansonsten muss ich der Sache ihren Lauf lassen", so geht er den Prozess an.