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"Zum Mohr" in Emseloh "Zum Mohr" in Emseloh: Zu Besuch in einer der ältesten Gaststätte Sachsen-Anhalts

Von Frank Schedwill 19.12.2018, 17:00
Die Wirtsleute Axel Blanka und Gisela Töpfer hinter dem Tresen des „Mohren“
Die Wirtsleute Axel Blanka und Gisela Töpfer hinter dem Tresen des „Mohren“ Maik Schumannn

Emseloh - Drei Steinstufen und eine schlichte dunkle Holztür: Wie viele Gäste in den vergangenen Jahrhunderten das Gasthaus „Zum Mohr“ in Emseloh so betreten haben, kann Wirtin Gisela Töpfer nicht sagen.

Aber es müssen Zigtausende gewesen sein, die in dem Haus eingekehrt sind, das wie der benachbarte Gutshof einen Mohrenkopf mit weißer Stirnbinde im Wappen trägt.

Immerhin besteht die Gaststätte in dem Fachwerkhaus seit dem Mittelalter. 1483, im Geburtsjahr Martin Luthers, wurde sie vom Lehnsherrn Georg von Morungen „angerichtet“, heißt es in der Chronik. Das Haus ist sogar noch älter: Es war bereits acht Jahre zuvor von der Kirche erbaut worden.

Von der historischen Einrichtung ist im Laufe der Jahrhunderten, in denen der „Mohr“ immer wieder andere Besitzer hatte, nicht viel übriggeblieben.

„Auch die heutige Eingangstür ist nicht mehr die originale“, sagt die Wirtin, deren Familie die Gaststätte besitzt.

Aufwendige Restauration

Im August 1992 haben Gisela Töpfer und ihr Mann Axel Blanka das weit über 500 Jahre alte Lokal an der früheren B80 in dem kleinen Allstedter Ortsteil von den Vorbesitzern übernommen, die es stark heruntergekommen nach der Wende von der Gemeinde zurückerhalten hatten.

Zuvor betrieben Töpfer und Blanka einen Imbiss in der Riestedter Straße in Sangerhausen. Generell habe fast alles in dem Gebäude erneuert werden müssen. „Nicht ein Tisch, nicht ein Stuhl war mehr da“, sagen sie.

Lediglich im Saal, der zu der Gaststätte gehört, habe noch eine uralte Theke gestanden. „Und in der Kühlzelle lag noch ein Stück alte Wurst, sonst war alles raus“, schmunzelt Axel Blanka.

Gemeinsam mit Freunden und Verwandten machten Töpfers den „Mohren“ wieder flott, stellten Gasträume sowie die Küche wieder her und bauten einen Toilettentrakt in das traditionsreiche Haus ein, damit die Gäste ihre Notdurft nicht mehr wie früher auf einem Plumpsklo im Hof verrichten mussten.

„Mein Mann hat zum Glück auf dem Bau gelernt und sehr geschickte Hände“, sagt Gisela Töpfer.

„Trotzdem sind wir oftmals an der Grenze zur Verzweiflung gewesen, erinnert sie sich an den kräftezehrenden Umbau der Gaststätte in Eigenleistung.

Wiedereröffnung nach der Wende

Bereits im Februar 1993 konnte der „Mohr“ dann wieder eröffnet werden. Bis 2014 hatten Töpfers sieben Tage die Woche geöffnet.

„Bis die A38 durchgängig befahrbar war, konnten wir uns vor Andrang kaum retten, insbesondere an den Wochenenden.

Sonntags ging um 11.30 Uhr die Tür auf. Und die ging erst wieder zu, als alle Tische besetzt waren“, erinnert sich Gisela Töpfer.

Die Wirtsleute hatten sich vor allem auf Wildgerichte spezialisiert, was bei den Gästen sehr gut ankam. Wer am „Mohren“ in Emseloh vorbeifuhr, sah fast immer einen vollen Parkplatz.

Kneipe statt Gaststätte

„Mitunter klopfen heute noch Gäste bei uns an die Fenster, die unseren Hirsch- oder Wildschweinbraten essen wollen“, sagt die Gastwirtin.

Aus gesundheitlichen Gründen ist das aber nicht mehr möglich. Vor einigen Jahren haben die Wirtsleute entschieden, die Speisegaststätte dichtzumachen.

Der „Mohr “ wird nur noch für Familienfeiern oder andere größere Veranstaltungen genutzt. „Alles andere ist leider nicht zu schaffen“, sagt Gisela Töpfer.

Die Betreiber konzentrieren sich auf ihre Bierkneipe „Destille“. Das urige Lokal befindet sich im gleichen Gebäude.

MZ-Leser berichten von ihren Erlebnissen

Dazu haben sie unter anderem die früheren Ställe ausgebaut. Und wer genau hinschaut, kann dort auch noch alte Eingangstür des „Mohren“ mit der Hausnummer Eisleber Straße 2 entdecken. Sie ist dort in der Einrichtung verbaut.

Teilen Sie Ihre Erinnerungen mit der MZ - entweder telefonisch unter 03475/61 46 10 oder per Mail an [email protected]

An den „Mohren“ erinnern sich nach unserem Aufruf auch eine ganze Reihe Leser. So schreibt Ruth Arend aus Tilleda, dass jede Durchfahrt durch Emseloh immer wieder Bilder aus ihrer Kindheit aufleben lasse.

„Meine Eltern sind mit uns drei Kindern im September 1959 von Röblingen am See nach Tilleda umgezogen. Mit meinem Vater und meiner Schwester saß ich im Führerhaus eines kleines Lkw mit Plane.“

Sie erinnere sich heute noch an den riesigen Asparagus ihrer Mutter und an den vielen Hausrat auf der Ladefläche.

„Wir kehrten hungrig und durstig in der Gaststätte ein und haben uns gestärkt. Für mich als Zehnjährige und meine fünfjährige Schwester war der Umzug ein Erlebnis. Faszinierend fand ich auch den großen Mohr, der vor der Gaststätte zur Einkehr einlud.“

Brigitte Becker und Barbara Neumann, die Töchter der früheren Besitzer der Gaststätte, schickten eine ganze Mappe mit Geschichten aus dem „Mohren“.

Sie erinnerten daran, dass ihr Vater Otto Köhler früher im Gaststättengebäude eine Fleischerei betrieb und dort auch ein Gemischtwarenladen ansässig war. Viele Jahre lang wurden Filme im Saal gezeigt.

„Bei sieben Öffnungstagen in der Woche hat es immer viel Arbeit gegeben“, schrieben sie. Selbst Heiligabend sei der „Mohr“ bis 17 Uhr geöffnet gewesen. Erst dann war Bescherung.

Die großen und kleinen Geheimnisse hinter der Eingangstür zum Glockenturm von Gerbstedt lüften wir für Sie am Donnerstag, 20. Dezember.

(mz)

Dieser Ofen steht in der benachbarten „Destille“.
Dieser Ofen steht in der benachbarten „Destille“.
Schumann
Die Bierkneipe ist urig eingerichtet.
Die Bierkneipe ist urig eingerichtet.
Schumann
Diese Gartenbahn ist eine Attraktion für Kinder in der Gaststätte.
Diese Gartenbahn ist eine Attraktion für Kinder in der Gaststätte.
Schumann