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Wieder im normalen Leben

Von Beate Thomashausen 22.07.2005, 15:48

Lengefeld/MZ. - Guido kam vor 27 Jahren zur Welt - behindert. Da geht erst einmal eine Welt unter, für eine junge Familie, die sich gesucht und gefunden hatte und ihr größtes Glück in einem Kind sah. Nichts wird so sein, wie man es sich erträumt und erhofft hat. Nicht selten zerbrechen Familien daran. Christel und Frank Kreikenbaum nehmen ihren Sohn an so wie er ist. Pflegen, füttern und waschen ihn so wie es alle Eltern tun und doch anders, denn sie tun dies eben bereits seit 27 Jahren.

Schmuck ist das Zuhause der Kreikenbaums. Gepflegt, geschmackvoll eingerichtet. Von der Sitzecke im Wohnzimmer blickt man nicht nur auf den Fernseher, sondern auch auf eine Spielecke mit einem großen Plastiklaster. Guidos Reich. Familienfotos zeigen den Sohn in trauter Dreisamkeit mit seinen Eltern. Eine Dreisamkeit, die durch einen unglücklichen Unfall fast zerstört worden wäre, denn auch der Vater war lange Zeit schwer krank. Nach einem lapidaren Unfall - der Polizist stieß sich im Dienst den Kopf - traten Hirnblutungen auf.

Das war vor sieben Jahren. Auch der Vater war schwer behindert. Konnte weder laufen, noch sprechen noch sehen. Mutter Christel blieb stark. Verzweifelte nicht. Sie ergriff selbst die Initiative, ließ sich gemeinsam mit ihrem Mann ins Pflegeheim einweisen, war rund um die Uhr für ihn da. Gemeinsam gingen sie Schritt für Schritt ins Leben zurück. Dort sind sie jetzt beide wieder angekommen, in ihrem normalen Alltag, zu dem Guido gehört - so wie Luft, Sonne und Wasser. Denn Guido bedeutet für Christel und Frank Kreikenbaum vor allem eines - Liebe. "Wenn sie mit Herzblut herangehen, zerbrechen sie an keiner noch so schweren Aufgabe."

Christel Kreikenbaum strahlt unendliche Ruhe aus. Sie fragt nach. Hat bei aller Arbeit rund um die Uhr die Kraft, ihr Gegenüber nach seinem Tag und seinen Problemen zu fragen. 5 Uhr beginnt Christel Kreikenbaums Tag und endet niemals vor 22 Uhr. Nachts, wenn der Junge herumgeistert, steht sie selbstverständlich auf. Da ist kein Jammern und Verzagen in ihrer Stimme. Die blonde Frau hat keine Löwenmähne, sondern einen praktischen kurzen Haarschnitt. Aber sie kämpft wie eine Löwin. Für ihren Mann am Krankenbett, für ihren Sohn mit den Behörden. Erst jetzt hat sie Guido gegen allen Widerstand wieder in den Südharzwerkstätten untergebracht.

"Das ging nicht so ohne weiteres. Ich hatte ihn daheim behalten, als die vielen Meningitisfälle auftraten. Guido hatte als Kind schon einmal eine eitrige Hirnhautentzündung. Ich wollte ihn schützen", erklärt die 45-Jährige. Zunächst musste wieder ein Gutachten des Amtsarztes her, ob Guido werkstattfähig ist. Das ist er, die Mutter wollte aber, dass ihr Sohn künftig nur noch halbtags arbeitet. Die behinderten Werkstattmitarbeiter werden aber nur morgens und nachmittags mit dem Bus gefahren. Eine Extra-Tour für Guido sollte nicht drin sein, auch nicht die Fahrgelderstattung für die Mutter, wenn sie ihn mittags aus Sangerhausen abholt. "Das ist nun ausgestanden. Die nächste Tour habe ich vor mir. Mitte Juli wird ein neuer Bescheid vom Amtsarzt fällig", die Stimme klingt ruhig, gefasst. Dass ihr das Leben von der Umwelt nicht erleichtert wird, ist sie gewohnt. Bestimmt reagieren manche Behördenmitarbeiter allergisch, wenn sich Frau Kreikenbaum am anderen Ende der Telefonleitung meldet. Denn Lockerlassen ist nicht ihre Sache.

Über sich selbst spricht Christel Kreikenbaum fast gar nicht. Natürlich, einen Beruf erlernte sie. Sie ist Näherin. Als Guido kam, stellte sie sich ganz auf ihn ein. Halbtagsarbeit. Putzen gehen. Für Guido da zu sein ist mehr als ein Vollzeitjob. "Ausfallen darf ich nicht", sagt sie und da ist dann Sorge in ihrer Stimme zu spüren. Denn was wird aus ihrem Frank, der noch immer nicht wieder arbeiten gehen kann und ihrem Guido, der nie selbstständig sein wird.

Zerstreuung und Erholung findet die Kämpferin ganz in ihrer Nähe, direkt vor der Haustür. Auf dem kleinen Hof stehen Kaninchenställe mit reinrassigen Langohren. Blaue Wiener und Rote Neuseeländer. Die züchtet sie und geht mit den flauschigen Gesellen zu Ausstellungen. Wenn Mutter zu den Kaninchen geht, ist Sendepause, das wissen beide Männer im Haus. Höchstens Westie Biene, der quirlige Hund des Hauses Kreikenbaum, würde dagegen opponieren. Von den Fellknäueln weg, ruft sie dann bestenfalls der Sirenenton, denn Christel Kreikenbaum ist in der Lengefelder Feuerwehr.

Während sie ihrem Mann zusieht wie dieser Kaffee einschenkt, ihm liebevoll über den Arm streicht, erzählt sie von ihren neuen Plänen. Jetzt, wo bei Kreikenbaums alles wieder im Lot ist, will sie sich anderen Menschen zuwenden und in der Notfallseelsorge mitarbeiten. "Das ist eine schwere Arbeit. Aber es muss Menschen geben, die sie tun. Mein Glaube gibt mir täglich die Kraft, weiter zu machen und stark zu sein", sagt Christel Kreikenbaum schlicht. Der Glaube versetzt wirklich Berge. Und wenn man aus dem Haus tritt, diese Familie kennen gelernt hat, weiß man, dass so normales Leben einer Familie sein sollte. Und man kommt gern zurück zu dem Haus, auf dessen Dach eine ulkige Schlafwandlerfigur spaziert. Denn darunter wohnen Liebe und Achtung.