Fußballprofi aus der DDR Was einen Autor dazu bewogen hat, die Lebensgeschichte von Norbert Nachtweih aufzuschreiben
Autor Mathias Liebing hat unter dem Titel „Zwischen zwei Welten - Meine deutsch-deutsche Fußballgeschichte“ eine Biografie über Ex-Fußball-Profi Norbert Nachtweih geschrieben. Dazu gehörte auch ein Blick in die Stasi-Akte ...

Sangerhausen/MZ - Der Journalist und Dokumentarfilmer Mathias Liebing stammt aus dem Mansfelder Land. Der 44-jährige Familienvater von zwei Kindern wurde in Wippra geboren und wuchs ins Großörner auf. Heute lebt er in Leipzig. Unter dem Titel „Zwischen zwei Welten - Meine deutsch-deutsche Fußballgeschichte“, erschienen bei Edel-Sports, hat er jetzt eine Biografie von Norbert Nachtweih aufgeschrieben. Der ehemalige HFC-Spieler aus Sangerhausen war am 16. November 1976 im Alter von 19 Jahren zusammen mit Jürgen Pahl in den Westen geflüchtet, um sich den Traum vom Bundesliga-Profi zu erfüllen. Das Gespräch führte Wolfram Bahn.
Was hat Sie dazu bewogen, die Lebensgeschichte von Norbert Nachtweih aufzuschreiben?
Mathias Liebing: Die kurze Antwort ist: Weil er es verdient hat. Verdient, dass seine Geschichte noch einmal so erzählt wird. Denn letztlich gehört er zu den wenigen Fußballstars der 1980-er Jahre, die quasi vergessen worden sind.
Mit „Vergessen“ meine ich nicht von der jungen Generation, die ohnehin in einer ganz anderen Fußballwelt aufwächst, sondern von denen, die ihn noch haben spielen sehen. Dabei hat er einen wirklich unglaublichen Weg hinter sich. Die Flucht, die großen Erfolge, das wilde Leben, die Verwicklung in den Bauherrenskandal, eine gescheiterte Ehe, die besondere Wende-Erfahrung und letztlich die am Ende erfolgreiche Zweitkarriere als Übungsleiter in einer Fußballschule.
Das ist viel für ein Menschenleben. Kürzlich habe ich von einer britischen Filmproduktionsfirma gehört, der das Buch vorlag. Die dachten über eine Verfilmung nach, haben sich aber dagegen entschieden, weil Norberts Lebensweg wie ausgedacht klingt.

Norbert Nachtweihs Ruf als „Nachtfalter“
Nachtweih hatte lange den zweifelhaften Ruf eines „Nachtfalters“. Wie kam es dazu?
Mathias Liebing: Den Ruf hat er sich sehr gewissenhaft erarbeitet. Wie es eben so seine Art ist. Den Namen verpasst hat ihm sein ehemaliger Trainer bei Eintracht Frankfurt, Gyula Lorant. Dem gefiel der Freiheitsdrang von Norbert nicht, der dennoch große Stücke auf ihn hielt.
Denn trotz einiger kleiner Ausbrüche ins Nachtleben, die er sich gerade in der Anfangszeit in Frankfurt und in München wohl deutlich seltener gönnte, wusste er, wann er zu arbeiten hatte. Uli Hoeneß hat das schön gesagt: Er meinte, dass es auf der einen Seite eine Beleidigung für Norbert gewesen wäre, wäre er nicht dabei gewesen, wenn die Bayern-Mannschaft irgendwelchen Mist machte.
Auf der anderen Seite stand er aber immer gerade und am nächsten Tag auch auf dem Trainingsplatz. Und diese Konsequenz ist ja nicht die schlechteste Eigenschaft. Nachtfalter hin, Nachtfalter her.
Wie lange kennen Sie ihn eigentlich schon?
Mathias Liebing: Tatsächlich eine ganze Weile. Ich stamme auch aus dem Mansfelder Land und schrieb als Jugendlicher für die Mitteldeutsche Zeitung. Mitte der 1990-er kam ich auf die Idee, eine Serie über Bundesliga-Kicker aus dem Mansfelder Land zu machen.
Da war Norbert neben Heiko Peschke, Dirk Wüllbier oder Steffen Karl, der kurz vor dem Mauerfall vom HFC nach Hettstedt strafversetzt wurde, natürlich der Star. Danach hatten wir noch einmal Kontakt, weil meine Schwester Annett für den SV Rot-Weiß Großörner eine Benefizveranstaltung organisierte. Und mehr als 20 Jahre später, also 2021, habe ich eine Doku für das NDR-Format „Sportclub Story“ über ihn gemacht.

NDR-Dokumentation liefert Grundlage für Buch
Wo haben Sie sich mit ihm getroffen, um seine Erlebnisse und Einsichten zu notieren?
Mathias Liebing: Die Grundlage ist während der Dreharbeiten für die NDR-Dokumentation entstanden. Wir waren ja viel unterwegs, in München, Berlin, rund um Frankfurt, im Mansfelder Land und sogar in Bursa und Istanbul. Auf den Fahrten haben wir viel gequatscht.
Und letztlich haben die Orte, wie der Originalschauplatz seiner Flucht in der Türkei, bei ihm natürlich die Erinnerung geweckt. Im Zuge dessen ist das Vertrauen seinerseits gewachsen, dass ich keinen Murks mache, sondern seine Geschichte erzählen will. So wie er sich daran erinnert.
Für die Buch-Recherche bin ich dann drei- oder viermal für jeweils zwei Tage zu ihm in seinen Wohnort am Taunus nach Hessen gefahren, habe meine Kamera aufgebaut und dann ging es los.
Nachtweih spricht in dem Buch offen über seine Fehler und Irrwege. Hat Sie das überrascht?
Mathias Liebing: Das hat mich vor allem gefreut. Denn am Ende ist es so ein ehrliches Buch geworden. Eine Ehrlichkeit, die ich im aktuellen Fußball-Business wirklich vermisse. Vielleicht kommt das Buch, was schon nach ein paar Wochen in die zweite Auflage geht, daher so gut an: Da erzählt einer offen und ehrlich seine Geschichte. Auch wenn es manchmal wehtut.
Einsicht in Nachtweihs Stasti-Akte bietet Einblicke über die DDR als Überwachungsstaat
Warum haben Sie ihn dazu überredet, seine Stasi-Akte einzusehen?
Mathias Liebing: In diesem Punkt habe ich ihm gern geholfen. Denn von sich aus hätte er das nicht gemacht. Am Ende war es auf zwei Ebenen wichtig: Zum einen für ihn ganz persönlich, um seinen Frieden zu machen. Und zum anderen: Um den Wahnsinn darzustellen, der in der DDR als Überwachungsstaat eben auch zur Realität gehörte.
Und es sind ja schöne, groteske und schaurige Geschichten rausgekommen, wie von der armen Sau in Eisleben, die über Jahre den gesamten Postverkehr zwischen Polleben und dem Westen filzen musste. Mit festen Arbeitszeiten, auch an den Wochenenden.
Bis hin zum Hausbesuch in Frankfurt am Main, wo sich die Stasi in Norberts Abwesenheit Zugang zu seinem Haus verschaffte und seinen Weg ins Schlafzimmer dokumentierte. Während sein Schäferhund wie eine Hauskatze im Flur wartete.
Großes Interesse am HFC
Welche Beziehung haben Sie eigentlich zum HFC?
Mathias Liebing: Ich verfolge den Club mit großem Interesse, gerade auch nach dem Abstieg in die Regionalliga. Und mich freut sehr, dass sich die Kids zum Beispiel im Mansfelder Land heutzutage nicht mehr zwingend zwischen Bayern oder Dortmund entscheiden müssen, sondern auch den HFC wählen können.
Das habe ich in meiner Kindheit anders wahrgenommen. Später habe ich ja in Halle Sport, Medien und Zeitgeschichte studiert, einige Kommilitonen spielten damals für die Oberliga-Mannschaft und aus Interesse war ich manches Mal im Stadion. Und nun freue ich mich, dass ich bald wieder dort bin, da der Edel Sports Verlag von mir ein Buch über den Ostfußball haben will.
›› Hinweis: Am Freitag, den 6. Dezember, lädt der HFC alle Interessenten um 18 Uhr zu einer Buchpräsentation mit Norbert Nachtweih ins Kellergewölbe der neuen Geschäftsstelle des Vereins in der Rathausstraße 7 in Halle, vielen bekannt als „Grüns Weinstuben“, ein. Als Gäste kommen unter anderem seine ehemaligen Mitspieler beim HFC Chemie wie Wolfgang Schmidt, Holger Krostitz und Burkhard Pingel, seine früheren Trainer Dirk Overbeck und Helmut Wilk sowie der einstige Profi-Boxer Timo Hoffmann, der wie Nachtweih in Polleben, heute ein Eisleber Ortsteil, aufgewachsen ist.
Information: Karriere - Meister und Pokalsieger
Norbert Nachtweih hat in den 1980er Jahren mit Eintracht Frankfurt und Bayern München vier Meisterschaften, dreimal den DFB-Pokal und einmal den Europapokal gewonnen. Der gebürtige Sangerhäuser absolvierte als Fußball-Profi insgesamt 325 Bundesliga-Spiele, 52 Begegnungen im DFB-Pokal und 63 Europapokal-Partien. Außerdem bestritt der heute 67-Jährige mit AS Cannes noch fast 50 Spiele in der französischen Ehrendivision und bis 1996 rund 130 Zweitliga-Partien für Waldhof Mannheim.
Das Trikot des HFC Chemie in der DDR-Oberliga trug er 35 Mal. Nachtweih kann zudem 13 Spiele mit DDR-Nachwuchsmannschaften vorweisen. Seine Laufbahn begann mit sechs Jahren bei der BSG Motor Sangerhausen, dann folgten Traktor Polleben und MK Eisleben.