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Sangerhausen Sangerhausen: Herzenssache

Von Beate Thomashausen 06.11.2012, 18:35

Sangerhausen/MZ. - Was war passiert: Axel Filip, Jahrgang 1959, ist Diplom-Formgestalter. Er arbeitet in einem Büro in Halle. Jeden Morgen fährt er mit dem Zug zur Arbeit. Die Wege in Halle erledigt er mit dem Fahrrad. "Jeden Tag neun Kilometer mit dem Rad - das hält fit", sagt Filip. Komisch ist nur, dass er immer kurzatmiger wird. Plötzlich kann er gar nicht mehr so flüssig radeln wie er es bisher gewohnt ist. "Die Ludwig-Wucherer-Straße wurde zu meinem Gradmesser. In der zweiten Hälfte steigt sie langsam aber kontinuierlich an. Und von Tag zu Tag wurde dieser Anstieg mehr zur Hürde für mich."

Müde und kraftlos

Gut, zuerst zweifelte Axel Filip an seiner Kondition. Als er keine Erklärungen mehr für sich fand, er müder und kraftloser wurde, ging er zum Arzt. Der Lungenarzt befand seine Lunge für in Ordnung. Der zweite Facharzt, ein Kardiologe bescheinigte ihm eine Pumpschwäche des Herzens und verordnete einen Schrittmacher. Das war im Dezember 2007. Im Januar 2008 lag Axel Filip schon unterm Messer. Er war schließlich noch nicht ganz 50 und wollte wieder mitten im Leben stehen.

"Nach der Operation war ich riesig enttäuscht. Ich fühlte mich überhaupt nicht besser." Und tatsächlich stand es gar nicht gut um ihn, bei der OP war seine Lunge perforiert worden. Eine weitere OP behob den Schaden, gleichzeitig stellte sich heraus, dass Axel Filips Herzmuskel geschädigt war. "Das gab lange Gesichter. Bei mir und bei den Ärzten in der Sangerhäuser Klinik." Axel Filip wurde nun von Spezialisten der Herzklinik Leipzig behandelt.

Die Diagnose lautete Herzinsuffizienz, also Herzmuskelschwäche. Das bedeutete für Axel Filip jeden Tag ein Stück seiner Lebensqualität hergeben zu müssen. Erst konnte er nur nicht mehr Anhöhen mit dem Rad erklimmen, dann stellte er das Radfahren ein. "Ich habe es ja sowieso nicht mehr geschafft." Ein Luftwechsel, etwas Erholung im Urlaub auf dem flachen Land - das könnte ja gut tun. Axel Filip reiste mit seiner Frau nach Italien. Mit dem Auto.

Die Rückfahrt war eine Tortur. Herzrhythmusstörungen brachten Axel Filip an seine Grenzen. Seine Frau musste zurückfahren. In Sangerhausen ging es in die Notaufnahme. "Da mussten sie mich das erste Mal wiederbeleben. Ein zweites Mal im Hubschrauber nach Leipzig. Und dort wurde ich noch mal reanimiert."

Axel Filip bekam nun einen Schrittmacher mit Defibrillator eingepflanzt, der sein Herz wieder in Gang bringen sollte, wenn es aussetzt. "Aber auch der Defi hat nicht geholfen. Ich konnte gerade noch 100 Meter laufen. Mein Allgemeinzustand war schlecht. Es wurde immer schlimmer. Da habe ich erstmalig ernsthaft eine Herztransplantation in Erwägung gezogen. Mit mir wurde eine Evaluation gemacht, sprich, ich wurde eine Woche in der Klinik auf den Kopf gestellt, ob ich überhaupt für eine Transplantation in Frage komme. Ich kam in Frage und danach stand ich auf der Transplantationsliste."

Axel Filip machte sich auf langes Warten gefasst.

Währenddessen wurden die Ansprüche an sein Leben immer bescheidener. "Ich konnte nichts mehr machen. Noch nicht mal zum Bäcker um die Ecke gehen. Da ist so eine minimale Steigung, die eigentlich für keinen Menschen spürbar ist. Für mich war sie wie eine Bergtour. Ich war eigentlich schon froh, wenn ich in der Küche auf dem Stuhl saß." Freunde, Arbeit, soziale Kontakte - alles nebensächlich. Was zählte, war der nächste Atemzug und der war mitunter schon schwer genug.

Filip schilderte bei einer der Routineuntersuchungen in Leipzig, wie sein Alltag aussah. Alles hatte sich dramatisch verschlechtert. Daraufhin wurde er stationär aufgenommen und rückte nach ganz vorn in der Liste derjenigen, die auf eine Organspende warten. Das war am 27. Juni 2010. Und auf ein Organ warten, das kann dauern, da machte sich Axel Filip nichts vor. "Nicht wenige versterben auf der Liste", sagt er.

"Im Krankenhaus ging mir nun ein bisschen besser. Ich lag ja meistens. Ständig wurden Medikamente zugeführt." Aber dieses Warten sei beschissen. "Ich wollte einfach nur aus diesem Alptraum aufwachen. Aber es war ja meine Realität. Meine Familie und meine Freunde haben mich ständig besucht. Zum Glück."

Plötzlich war er da, der Tag, den Axel Filip so herbeigesehnt hatte. "Ich wurde nachts von der Schwester geweckt. Ein Herz ist da." Nun ging alles schnell. Fertigmachen für die OP und Samstagmittag auf dem OP-Tisch. "Als ich aufwachte ging es mir vom ersten Moment an richtig gut. Von da an begann mein zweites Leben. Ich hätte ja schon ein paar Mal sterben können. Und nun bekam ich dieses Geschenk. Einfach so. Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe."

Und viel Arbeit stand ihm nun bevor. Schon am dritten Tag nach der OP saß er auf dem Hometrainer, Treppensteigen wurde geübt. Der Körper hatte durch das lange Liegen und die lange schwere Krankheit stark abgebaut. In einer Reha-Kur begann Axel Filip seine Kräfte wieder zu mobilisieren. "Dass ich da noch viel vor mir hatte, bemerkte ich daheim, als ich den Wasserkocher anheben wollte. Das ging nicht. Ich hatte einfach nicht genug Kraft."

Sein Leben umstellen musste Axel Filip auch. Das seien aber Einschränkungen, die er gern in Kauf nehme und die ihm auch schnell in Fleisch und Blut übergangen seien. So erinnert ihn sein Handy zwei Mal am Tag daran, seine Immunsupressiva einzunehmen. Diese Tabletten unterdrücken das Immunsystem und hindern es daran, das körperfremde Herz abzustoßen. Allerdings hat Axel Filip nun praktisch keine körpereigene Abwehr mehr. "Ich esse nun nach der Tropenregel: Schälen, kochen oder vergessen." Die Küchenutensilien, die er benutzt, müssen peinlich sauber gehalten werden. Händedesinfektion gehört zur täglichen Routine. Jede Infektion ist eine Bedrohung für ihn. "Das habe ich gemerkt als ich mich am Bein an einer Pflanze verletzt hatte. Da war ich gleich medizinischer Notfall."

Ein zweites Leben

Axel Filip fühlt sich in seinem zweiten Leben pudelwohl. Wanderkaiser ist er. 222 Stempelstellen im Harz hat er gemeinsam mit seiner Frau in einem Jahr erwandert. Er fotografiert und zeichnet am Computer. "Ich habe meine Schaffenskraft wieder", freut er sich ganz offenkundig. Mancher hat vielleicht schon eine seiner Postkarten gesehen mit Karikaturen vom Kobermännchen, die es in geringer Auflage in Sangerhausen bei "Teekunst Peche" gibt. Axel Filip hat noch viele Ideen, die darauf warten, umgesetzt zu werden.

Und das neue Herz? "Meine Ärzte haben mir erzählt, das ein Spenderherz ganz von selbst in der Brust wieder zu schlagen beginnt, wenn es transplantiert wurde. Das hat mich sehr bewegt. Ich liebe mein Herz. Es ist jetzt meins. Ihm verdanke ich dieses Sahnehäubchen auf mein Leben, das schon so viele Male besiegelt war."