1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Sangerhausen
  6. >
  7. Reisende suchen am Bahnhof vergeblich

Reisende suchen am Bahnhof vergeblich

Von Katrin Weißenborn 28.03.2007, 16:17

Sangerhausen/MZ. - An vier zentralen Plätzen in der Innenstadt, alle etwa zehn Gehminuten voneinander entfernt, führte ich den Selbstversuch durch. Denn glaubt man den Klischees, ist das ja auch die Maximaldistanz, die meine Geschlechtsgenossinnen und ich ohne WC aushalten können.

Um eins gleich mal klarzustellen: Ich bin nicht empfindlich. In meiner Tasche sucht man vergeblich nach vorsorglich mitgeführten Desinfektionstüchern, die jedem Keim den Kampf ansagen. Auch habe ich als regelmäßige Besucherin von Musikfestivals durchaus Erfahrungen gemacht, auf die ich hätte verzichten können. Entsprechend abgehärtet peilte ich Ziel 1 an: den Markt. Ein Hinweisschild wies mir den Weg zu dem Häuschen, das mir für 50 Cent Erleichterung versprach.

Die Tür ließ sich problemlos öffnen, Licht und Wasser funktionierten. Natürlich ist das Etablissement nicht das Schönste, die Edelstahlklosetts vermitteln eher den Charme einer Autobahnraststätte. Aber wer hier ein dringendes Bedürfnis verrichten möchte (und davon ist auszugehen, schließlich benutzt niemand freiwillig öffentliche Toiletten, wenn es nicht wirklich nötig ist) kann dies problemlos tun. Alle vier Kabinen sind mit Papier, Bürste und Kleiderhaken ausgestattet.

Positiv überrascht näherte ich mich der Marienanlage. Auch dort führten mich Hinweisschilder bis vor die Tür. Das Gebäude wirkt mit unzähligen Spinnweben wenig einladend. Probleme bekam ich bei dem Versuch, erstmal da hineinzukommen. Das 50-Cent-Stück blieb im Einwurfschlitz stecken, alles wackeln und gut zureden nützte wenig, eine zweite Münze zum Nachschieben war nötig. Dann öffnete sich die Tür, Licht und Lüftung sprangen an. Das WC ist in akzeptablem Zustand, bei der Suche nach Papier fand ich allerdings nur einen kümmerlichen Rest vor, auf den ich gern verzichtet habe, da er sich auf dem, na sagen wir mal, mäßig sauberen Boden befand. Erst auf dem zweiten Blick bemerkte ich das wahre Highlight dieses Örtchens: die Lektüre! Innen an der Tür erfährt der Besucher genaueres über die Verdauungsprobleme eines gewissen Sebastian, schlüpfrige Details aus Jesis hochinteressantem Liebesleben und die beherzte Warnung eines früheren Benutzers: "Auf diesem Klo, da sitzt ein Geist, der jeden in den Hintern beißt" (der Spruch geht übrigens auch noch weiter. . . ). Darüber könnte man fast vergessen, dass es keine Haken an der Wand gibt und die Halteschlaufe für Behinderte total versengt wurde.

Immer noch schmunzelnd (diese Jesi!) mache ich mich auf den Weg Richtung Bahnhof. Zunächst ist mir nicht klar, warum mich dort gleich zwei Schilder wieder auf die Marienanlage verweisen. Erst als ich vor verschlossenen Türen stehe, geht mir auf, dass es am Sangerhäuser Bahnhof keine Toiletten gibt. Das mag auf den ersten Blick nicht so schlimm sein, schließlich sind die 200 Meter zurück zur Marienanlage durchaus zu bewältigen. Aber für Reisende ist das schon ein Manko, bedenkt man, dass die sanitären Anlagen in den Zügen gelegentlich auch zu Wünschen übrig lassen und sich so mancher Reisende den Zielbahnhof herbeisehnt. Vermutlich würden die Menschen, die am Busbahnhof ankommen und mit dem Zug weiterreisen möchten, auch ganz gern noch einmal gehen.

Also weiter zum Friedhof. Großer Vorteil dort: die kostenlose Benutzung der zwei Urinale, zwei Toiletten für Männer und Frauen sowie einer auch für behinderte Menschen geeigneten. Zunächst steuerte ich also die normale Damentoilette an. Der Türöffner funktionierte problemlos, ich bin jedoch nicht hineingegangen. Die besenkammergroße WC-Kabine wies einen hygienischen Zustand auf, den ich jetzt nicht kommentieren werde. Das Bild würden Sie nie wieder aus dem Kopf bekommen.

Also zweiter Versuch auf der Behindertentoilette. Hier war im Großen und Ganzen alles in Ordnung, es gab Papier, Wandhaken und ausreichend Haltegriffe. Sogar ein Ganzkörperspiegel ziert die Wand. Im Gegensatz zu den vorherigen Testobjekten sind diese mit WC-Brillen ausgestattet, was aber kein Vorteil ist. Wer körperlich nicht in der Lage ist, sein Geschäft so mehr oder weniger im Stehen zu verrichten, ist wirklich nicht zu beneiden.

Fazit: Es ist möglich in der Innenstadt auszutreten, aber haben muss man das nicht. Ich selbst war nach dem Test schnell wieder in der Redaktion. Ich musste nämlich auf die Toilette.