Nur im Laufschritt über den Platz
Helbra/MZ. - "Die waren schlimmer als beim Militär", erinnert sich Rudolf Wesche an seine Zeit beim Reichsarbeitsdienst in Mansfeld. 17 Jahre war er damals alt, hatte erst kurz zuvor die Zimmermannslehre bei der Firma Kaiser in seinem Heimatort Helbra beendet.
Ja, er hat sich im Frühjahr 1939 freiwillig gemeldet und war auch auf einiges vorbereitet. Dass es militärisch zugehen würde, war ihm klar gewesen. Nicht anders hatte er es von kleinauf kennen gelernt. Doch im Lager "Graf Hoyer von Mansfeld", wie die Einrichtung offiziell hieß, kam dann der Hammer. "Da haben sie uns geschliffen. Man, haben die uns die Hammelbeine lang gezogen", schüttelt Rudolf Wesche den Kopf. "Wir durften nur im Laufschritt über den Platz." Es war eine sehr harte Zeit.
Warum sich Rudolf Wesche freiwillig gemeldet hat? "Das war doch damals so", überlegt er. Man war jung und irgendwie mittendrin in diesem Strom der Zeit. Rudolf Wesche: "Das ging schon los beim Jungvolk und in der Hitlerjugend. Die hatten uns doch im Griff." Der ehemalige Arbeitsdienstmann versichert, nie das Verlangen gehabt zu haben, an der Waffe ausgebildet zu werden. Aber Dienst mit dem Spaten war schon eher etwas, die Kameradschaft. Die militärische Ausbildung wurde als normal empfunden.
"Mich hat ein Schulfreund überredet, mit zu Arbeitsdienst zu kommen", so Wesche, der heute darüber nur den Kopf schütteln kann. Dieser Dienst und dieser unerbittliche Drill! Das wird heute vielleicht kaum noch jemand glauben.
Einen Tag ging es zur Arbeit auf die Baustelle, den anderen Tag war Infanterieausbildung, immer im Wechsel. Früh, 6 Uhr, war Wecken, dann Frühsport, dann bis 17 Uhr Dienst. "Wir haben die Straße von Möllendorf bis zum Teich gebaut", erinnert sich Wesche, dessen Abteilung auch in Biesenrode beim Straßenbau im Einsatz war und Dränagerohre verlegt hat. Aller
zehn Tage kam der Zahlmeister. Für zehn Tage Knochenarbeit und Exerzieren bekamen die Arbeitsdienstmänner 2,50 Mark. Das muss man sich einmal vorstellen: 25 Pfennige am Tag! "Naja, das war nunmal so", winkt Rudolf Wesche ab, dessen Gruppe im August 1939 noch zum Ernteeinsatz in Wimmelburg war. "Danach ging es ab nach Polen", erinnert er sich.
Rudolf Wesche wird den Transport vom 25. August 1939 nicht vergessen. Im Viehwagen ging es bis zur polnischen Grenze, wo schon alles für Überfall auf das Nachbarland vorbereitet war.
Was der Arbeitsdienst in Polen gemacht hat? "Wir haben Gefangene bewacht und Straßen repariert." Das Lager auf dem Mansfelder Schlossberg hat Rudolf Wesche danach nie wieder gesehen, er ist im Oktober 1939 aus dem Dienst entlassen worden und musste sich danach zu Hause auf dem Arbeitsamt melden. "So viel ich weiß, war da später ein Wehrertüchtigungslager der Hitlerjugend drin", glaubt er.
Wer heute das Gelände sucht, auf dem die Baracken gestanden haben, kann es an der Straße Mansfeld - Klostermansfeld gegenüber dem Abzweig zum Schloss noch erahnen. Neben der Straße befindet sich ein kleiner Parkplatz, und irgendwo dahinter standen die Baracken. Nur noch ein paar Gehwegplatten lassen ahnen, dass hier mal ein Lager war.
Rudolf Wesche hat Fotos aufbewahrt. Er selbst hat seinerzeit noch ein Jahr in Eisleben in einem großen Bauunternehmen gearbeitet, bevor er zu Marine eingezogen wurde, wo es weniger streng zuging als auf dem Mansfelder Schlossberg. "Ich hatte Glück, ich habe keine Toten gesehen, ich habe keinen tot geschossen", sagte er. Der Helbraer war bei der Marine vor Oslo. Dem Krieg folgten zweieinhalb Jahre Gefangenschaft in Frankreich, Minen räumen im Golf von Biskaya. Als er im September 1947 endlich nach Hause konnte, waren seine Knochen noch heil. Einer seiner Schulkameraden hatte weniger Glück, dem ist in Russland der halbe Fuß abgefroren.
Rudolf Wesche hatte erst Jahre später Pech. Kaum dass er Bergmann geworden war, erwischte es ihn im Schneiderschacht. "Nach drei Wochen lag ich unter einer Wacke", sagte er. Seither geht er am Stock, hat immer wieder Schmerzen.
Seit seine Frau gestorben ist, kommt noch ein anderer Schmerz hinzu: die Einsamkeit. "Das schwerste ist die Einsamkeit", sagte er. "Jemand, der das nicht durchmachen muss, kann das nicht nachempfinden." Rudolf Wesche, dessen Sohn in Frankfurt an der Oder wohnt, schaltet deshalb oft den Fernseher ein. Auch wenn ihn das Programm nicht interessiert.
"Nur, um eine Stimme zu hören", begründet er. Was das Arbeitsdienstlager betrifft, vermutet er: "Ich bin wahrscheinlich der Letzte, der noch übrig ist."