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Nackedei im Harz Nackedei im Harz: Warum gehen Sie am liebsten nackt wandern, Herr Kuhlmann?

Von Tina Schwarz 01.08.2018, 10:00
Markus Kuhlmann geht mehrmals wöchentlich auf dem Naturistenstieg spazieren.
Markus Kuhlmann geht mehrmals wöchentlich auf dem Naturistenstieg spazieren. Andreas Stedtler

Die sanften Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durch die hohen Baumkronen. Markus Kuhlmann spürt deutlich die Wärme auf seiner Haut, als er den schmalen und steilen Kiespfad entlang läuft.

In einer Hand hat er noch ein paar Brombeeren, die er gerade von einem Strauch gepflückt hat. Die riesigen Felswände des Harzes ragen neben ihm auf seinem Weg empor. Als er sie berührt, spürt er den kalten, harten Stein.

Die Faszination des Harzes und seiner Natur begeistert viele Wanderer in Sachsen-Anhalt. Auch für Markus Kuhlmann gibt es kein schöneres Gefühl als sich seinen Rucksack mit etwas Proviant zu schnappen und in die Natur aufzubrechen. Doch anders als andere Wanderer macht er seine Ausflüge ganz ohne Kleidung.

Nacktheit als Meditation

„Barfuß über eine weiche Wiese zu laufen und den milden Sommerwind oder den Regen auf dem ganzen Körper zu spüren, ist einfach eine Wonne für Geist und Seele“, erklärt der 36-Jährige aus Harzgerode (Landkreis Harz).

Nacktheit bedeutet für ihn, sich frei und glücklich zu fühlen, sich nicht hinter Kleidung verstecken zu müssen. „Es ist für mich eine Art Meditation“, sagt er. „Ich kann so eins mit der Natur werden und die vier Elemente intensiver spüren.“ So könne er am besten über sich und die Welt nachdenken und alle negativen Gefühle mit der Kleidung ablegen. Es gebe nichts, was ihn glücklicher macht.

Nacktwanderer zog für seine Passion extra in den Harz

So glücklich, dass er vor zwei Jahren entschied, ganz in die Nähe des Harzer Naturistenstiegs in Wippra (Mansfeld-Südharz) zu ziehen. Dieser ist neben dem Naturistenweg in der Lüneburger Heide einer von zwei offiziellen Nacktwanderwegen in Deutschland.

„Da ich in der Nähe zum Wanderweg wohne, kann ich mehrmals in der Woche textilfrei in die Natur gehen, ohne dass ich noch weit mit dem Auto fahren muss“, sagt der Nacktwanderer, der zurzeit arbeitssuchend ist.

Nacktwandern als Rückkehr zum Gefühl der Kindheit

Sein erstes bewusstes Erlebnis mit Nacktheit hatte Markus Kuhlmann in seiner frühen Kindheit. Mit sechs Jahren war er mit seinen Eltern bei Bekannten eingeladen. „Im Garten haben wir Kinder dann nackig gespielt, sind durch Rasensprinkler gerannt. Ich habe das Wasser auf meinem ganzen Körper gespürt“, erinnert er sich.

„Es war ein Gefühl von Unbeschwertheit, ein Gefühl von Kindheit, das ich heute noch empfinde, wenn ich die Kleidung ablege“, fügt er hinzu. Mit 13 Jahren hatte sich der Hesse dann das erste Mal in der Öffentlichkeit ausgezogen. Alleine fuhr er damals in einen Wald. „Angst, dass mich jemand sieht, hatte ich nicht“, erzählt er. Es sei eher ein Nervenkitzel gewesen, nackt zu sein. „Es war prickelnd, barfuß und ohne Kleidung über die grünen Wiesen zu laufen.“

Der Harzer Naturistenstieg ist der erste offizielle Nacktwanderweg Deutschlands gewesen. Eröffnet wurde er im Jahr 2010. Los geht die Wanderroute in der Nähe der Parkplätze an der Talsperre Wippra. Die 13 Kilometer lange Strecke führt von dort aus durch ein Waldstück nahe Wippra und ist ausgeschildert. Ursprünglich ging der Weg nach Dankerode und wieder zurück.

Markus Kuhlmann hielt „Nacktivität“ zunächst geheim

Doch er hielt seine „Nacktivitäten“ im Wald vor Freunden und Familie erst einmal geheim. Denn dass es andere Menschen gibt, die sich genauso gerne ausziehen wie er, wusste der Jugendliche zu diesem Zeitpunkt noch nicht. „Meine Eltern waren keine Verfechter der Freikörperkultur, sind nicht damit aufgewachsen“, sagt er.

„In meiner Familie bin auch heute noch der Einzige, der gerne ohne Kleidung herumläuft.“ Begeistert waren seine Eltern anfangs nicht, als sie von seinen textilfreien Ausflügen in die Natur erfuhren. „Mittlerweile haben sie gelernt, es zu akzeptieren.“

Doch erst mit einer Fernsehreportage über FKK-Camps und Nudisten legte er seine Angst ab, verurteilt zu werden. „Ab dem Punkt habe ich realisiert, dass es viele Menschen weltweit gibt, die genauso Freude an der nackten, freien Lebensgestaltung haben wie ich.“ Und er fügt hinzu: „Sämtliche Bedenken und Gewissensbisse, die mich über Jahre hinweg quälten, verschwanden danach ganz langsam.“

Heute versteckt der Wahl-Harzer seinen textilfreien Lebensstil nicht mehr

vor anderen Menschen, hat gelernt mit Kritik, schiefen Blicken und Vorurteilen umzugehen. Ihn ärgert allerdings das Schmuddel-Image, das FKK heute manchmal hat. „Bis in die 90er Jahre war Nacktheit noch populärer, zu DDR-Zeiten gehörte es zum Alltag “, sagt er und erzählt von Menschen, die sich ohne Kleidung an den See gelegt haben oder Kinder, die einfach nackt in einem Springbrunnen gebadet haben.

„Heute ist das für viele leider unvorstellbar geworden“, bedauert Kuhlmann. FKK würde nur noch dort von der Gesellschaft geduldet, wenn man sie nicht sieht oder wenn Schilder darauf hinweisen.

Die Schuld gibt Kuhlmann vor allem dem Internet. „Viele haben einerseits wahrscheinlich einfach Angst, dass Bilder von ihnen verbreitet werden“, vermutet er. Andererseits würden die Leute durch das Netz und die sozialen Medien einen stärkeren Drang nach öffentlicher Selbstdarstellung, Präsentation und künstlichem Perfektionismus haben.

„Reine Nacktheit ist weder schlecht noch schmutzig“

Das sei allerdings das komplette Gegenteil von Natürlichkeit. „Nackt bedeutet mittlerweile auch für einige das gleiche wie sexuell oder erotisch“, ergänzt er. „Doch die reine Nacktheit ist weder schlecht noch schmutzig, sondern die wohl ursprünglichste Eigenschaft eines jeden Menschen.“

Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter wirbt er seit 2016 unter dem Namen „Harzer Nackedei“ für Naturismus, Nudismus, FKK und natürliche Nacktheit im Internet, er will dort auch mit Vorurteilen aufräumen.

Dass dort völlig Fremde Fotos von ihm ohne Kleidung sehen können, stört Kuhlmann nicht. „Ich schäme mich nicht für meinen Körper.“ Auf den Bildern fällt allerdings auf, dass der Nacktwanderer doch nicht so ganz nackt ist. Auf fast jedem Foto trägt er verschiedene Ketten und Armbänder aus Holz.

„Sie sind dem Schmuck südamerikanischer Völker nachempfunden“, erklärt er. „Für mich ist der Schmuck eine Art Dekoration mit der ich meinen nackten Körper verziere.“ Ohne die Ketten und Armbänder fühle er sich nicht so wohl.

Martin Kuhlmann klärt im Internet über Nacktheit und Nacktwandern auf

Auf seiner Internetseite mit dem Namen „Gymnosophia.Jimdo“, abgeleitet vom dem griechischen Wort „gymnos“ (nackt), erzählt er außerdem die Geschichte der Freikörperkultur von der Antike bis in die Moderne, gibt Gleichgesinnten Tipps für Wanderungen und klärt über die Rechte und Pflichten beim Nacktwandern auf.

Die juristische Seite ist nämlich nicht so einfach. „Vom Prinzip her kann man überall nackt sein. Es gibt kein Gesetz in Deutschland, das das verbietet“, erklärt Kuhlmann. Er sei sogar schon einmal nackt durch Harzgerode gelaufen.

Nacktheit als „Erregung öffentlichen Ärgernisses“

Eine Straftat sei das zwar nicht gewesen, doch seine luftige Erscheinung komme nicht bei allen Einwohnern gut an. „Wenn sich jemand gestört fühlt, kann die Polizei gerufen werden“, so Kuhlmann weiter. Es kann dann ein Bußgeld wegen „Belästigung der Allgemeinheit“ oder ein Platzverweis drohen.

Das kann übrigens auch der Fall sein, wenn man nur nackt auf dem Balkon sonnenbadet und sich der Nachbar gestört fühlt. Im schlimmsten Fall könnte die Nacktheit auch als „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ ausgelegt werden. Dafür muss es nicht einmal eine sexuelle Handlung geben, eine unzureichende Bekleidung reicht schon aus. Hier kann dann eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr drohen.

Textilfreie Bereiche

Damit das nicht passiert, weicht Nacktwanderer Kuhlmann lieber auf ausgeschilderte Bereiche aus, in denen er sich ohne Bedenken textilfrei bewegen kann. Dass sich einige seiner Gleichgesinnten beispielsweise in Bädern hinter Zäunen verstecken, kritisiert er allerdings.

„So grenzen wir uns gezielt von den anderen Menschen ab, schaffen eine Ungleichheit und machen uns damit zu einer Minderheit.“ Dass Markus Kuhlmann jedoch kein Außenseiter ist, zeigt die Zahl der Mitglieder des größten Verbandes für Naturisten und Nudisten in Deutschland. Mehr als 40.000 Personen gehören dem Deutschen Verband für Freikörperkultur (DFK) bundesweit an.

Bald soll außerdem der dritte offizielle Nacktwanderweg in Deutschland eröffnet werden. In Prignitz (Brandenburg) wird es im August eine große Testwanderung geben. Auch Markus Kuhlmann wird dafür wieder seinen Rucksack schnappen, um mit anderen Nackedeis die neue Strecke zu erkunden. (mz)