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Multiple-Sklerose-Erkrankung Multiple-Sklerose-Erkrankung: Normalität im Alltag

Von Helga Koch 25.05.2016, 14:30
Ohne Rollstuhl kann sich Helga Spitzbarth nicht mehr fortbewegen, bei vielen alltäglichen Dingen ist sie auf Hilfe von Ehemann Gunter angewiesen. Wenn möglich, bastelt sie hübsche Überraschungen für ihre Mitmenschen.
Ohne Rollstuhl kann sich Helga Spitzbarth nicht mehr fortbewegen, bei vielen alltäglichen Dingen ist sie auf Hilfe von Ehemann Gunter angewiesen. Wenn möglich, bastelt sie hübsche Überraschungen für ihre Mitmenschen. Schumann

Sangerhausen - Beide Frauen waren scheinbar kerngesund. Doch plötzlich, das war 1982, sah die Oberröblingerin Helga Spitzbarth alles doppelt und konnte nicht mehr richtig gehen. Ähnlich erging es Roswitha Zink; sie wollte morgens aufstehen, die Beine versagten. Beide Frauen gehören zu den über 200.00 Menschen in Deutschland, die Multiple Sklerose (MS) haben. Auf die „Krankheit mit den vielen Gesichtern“ macht der Welt-MS-Tag an diesem Mittwoch, 25. Mai, aufmerksam. Doch ist ein solcher Tag eigentlich nötig?

Prof. Dr. Malte Kornhuber, Chefarzt des Fachbereichs Neurologie der Sangerhäuser Helios-Klinik, hat intensiv an neuen Ansätzen zu Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose geforscht. Er erklärt: „MS-Patienten sind zu Beginn der Erkrankung überwiegend im jungen Erwachsenenalter, also zwischen 20 und 40 Jahre alt. Die Erkrankung kann aber auch im Jugendalter und im Lebensalter über 50 Jahren erstmals auftreten. Frauen sind doppelt so oft betroffen wie Männer.“

Es handle sich um eine chronisch-rezidivierende Erkrankung des Nervensystems, die langandauernd ist, zwischendurch eine Besserung zeigen kann, aber phasenweise wiederkehrt. Man könne sie sich ähnlich vorstellen wie Lippenherpes, der ebenfalls in Schüben auftritt; bei MS laufe die Entzündung im Gehirn oder Rückenmark ab. „Wir gehen davon aus, dass die Entzündung bei MS ähnlich wie bei Lippenherpes durch Viren ausgelöst ist, und zwar im Fall der MS durch Viren, die bei allen Menschen im Erbgut schlummern.“

Unter welchen Bedingungen manche dieser Viren aktiv würden, sei noch nicht ausreichend bekannt. „Schübe treten bei MS-Patienten mit einer sehr unterschiedlichen Häufigkeit auf. Es können Monate sein oder auch wenige oder viele Jahre.“ Die gegenwärtige Therapie richte sich gegen die akute Entzündung und es gebe eine ganze Anzahl von Arzneimitteln, um die Häufigkeit der Schübe zu verringern. Bei behindernden Schüben kämen etwa Logopädie, Physio- oder Ergotherapie hinzu. (Quelle/Foto: Helios-Klinik)

Welt-MS-Tag hilft bei Aufklärung

Heide Böland von der Sangerhäuser MS-Selbsthilfegruppe antwortet ohne zu zögern. „Sehr positiv“ finde sie diesen Tag, sagt die frühere Krankenschwester für Neuropsychiatrie. Er sei wichtig, „weil über die Erkrankung sehr viele schreckliche Bilder existieren und die Bevölkerung nicht so umfassend aufgeklärt ist.“ MS sei dank Laboruntersuchungen oder der Magnetresonanztomographie (MRT) zeitiger erkennbar als früher, als die Krankheit oft erst durch den Verlauf festgestellt wurde. Heute ließen sich die einzelnen Entzündungen besser behandeln, es komme zu weniger Ausfallerscheinungen. „Es muss nicht mehr jeder im Rollstuhl sitzen.“

Roswitha Zink, 67, hat sich mit der Krankheit arrangiert und abgefunden, wie sie erzählt. „Es geht mir relativ gut. Anderen geht es viel schlechter.“ Bevor sie vor über 20 Jahren die Diagnose erhielt, vermuteten Ärzte eine Tiefenvenenentzündung, dann eine Erkrankung der Wirbelsäule, ließen sie nach Bad Berka fliegen und wollten sie sofort operieren. Doch einer Ärztin fiel auf, dass die Symptome nicht zur Ursache zu passen schienen, beim MRT wurde MS festgestellt. „Es war ein großer Schock. Ich habe damals im Krankenhaus nur geweint.“ Inzwischen habe sie wohl alle Symptome schon gehabt: „Ich war ein Vierteljahr blind, habe zeitweise nichts mehr gehört.“ Das habe sich wieder gegeben, nur könne sie nicht mehr richtig laufen.

Jemanden an seiner Seite haben

Als bei ihr MS diagnostiziert wurde, war ihre jüngste Tochter neun Jahre alt. „Anfangs war ich meinem Mann und den Kindern gegenüber ungerecht.“ Sie habe alles selbst machen wollen, das klappte nicht, sie sei unzufrieden gewesen, habe „rumgeknurrt“. Wichtig sei, jemanden an der Seite zu haben, auf den man sich im Alltag verlassen könne.

Wesentlich schlimmer ist Helga Spitzbarth betroffen. Die 65-Jährige kann keinen Schritt mehr gehen und nicht mal mehr stehen. Die langwierige Behandlung mit Cortison habe ihre Knochen kaputt gemacht, sagt sie. Doch sie klingt nicht verbittert. Ihre beiden Söhne sind damit aufgewachsen, dass sie MS hat, ständig auf Arznei, Ärzte und Behandlungen angewiesen ist. Die ganze Familie unterstützt sie. „Das Wichtigste ist, dass die Familie zusammenhält.“

Zu ihrem Alltag gehören die Schwester vom Pflegedienst, Nachbarin Ursel - und vor allem Ehemann Gunter, der im Alltag ihre größte Stütze ist, Haus und Garten in Schuss hält und das gewünschte Bastelmaterial besorgt. „Am Anfang meiner Krankheit habe ich mich auf alles gestürzt, was damit zu tun hatte und habe alles gelesen. Das mache ich inzwischen nicht mehr.“ Kontakte, weiß sie, sind ganz wichtig.

Kontakte und Erfahrungsaustausch

Kontakte und Erfahrungsaustausch stehen auch bei der Sangerhäuser MS-Selbsthilfegruppe ganz obenan. „Wir sind 52 Mitglieder“, erzählt Klaus Stüber, der Vorsitzende. Jeden Mittwochvormittag sind Ansprechpartner im Sangerhäuser Haus der Vereine anzutreffen, beraten die Mitglieder und Interessierte. Die Angehörigen gehörten auch zu den Treffen der Gruppe dazu.

Der Kampf um einen Rollstuhl oder Treppenlift, eine behindertengerechte Dusche oder Toilette koste viel Kraft. „Es gibt Menschen“, sagt Roswitha Zink, „die daran verzweifeln.“ Umso wichtiger seien die Vorträge von Ärzten, Sanitätshäusern, zur Versorgung mit Hilfsmitteln und die gemeinsamen Ausflüge - sofern es die Gesundheit gerade zulässt. (mz)