Krankenhaus-Apotheke in Sangerhausen Krankenhaus-Apotheke in Sangerhausen: Am laufenden Band

Sangerhausen - Die Tür zu einem der bestgehütesten Flügel des Hauses liegt gleich im Erdgeschoss, am Ende eines verwinkelten Systems aus Gängen und Stufen. Immer wieder müssen Schlüssel gezückt werden, um weiterzukommen. Schnell wird klar: Hier darf nicht jeder rein. Die Arznei-Schachteln, die letztendlich auf den Nachttischen landen, sind alles, was Patienten der Sangerhäuser Helios-Klinik von dieser verborgenen Welt zu Gesicht bekommen.
Drinnen, in der Krankenhaus-Apotheke, wartet Christian Augsten - ganz in Weiß mit Kittel und Brille. „Einen Moment“, sagt er und öffnet einer Dame. Im Regal stehen braune Papiertüten, durch die leicht geöffneten Türen fällt der Blick auf Kisten, Wagen und Schränke. Einen der Beutel gibt der Apothekenleiter der Frau. „Aus unserem Mitarbeiter-Verkauf“, erklärt er. „An andere Kunden dürfen wir gar nichts abgeben.“ Die Frau bedankt sich und tritt zurück in den Flur, Augsten schlägt die entgegengesetzte Richtung ein. Links und rechts stehen fein säuberlich gestapelte Kartons; auf einem Wagen lagern hellblaue Kühlboxen. „Vorsicht Gabelstapler“, warnt ein Aufkleber. Darauf angesprochen muss der promovierte Pharmazeut lachen. „Nein, das ist nur vorsorglich. Den könnte hier gar keiner bedienen. Unsere Lieferungen transportieren wir auf Hubwagen.“
Es ist Freitag, erst gestern kam eine Ladung neuer Medikamente an, die jetzt verteilt werden. Darum die leeren Kartons. Der Apotheker zückt wieder seinen Schlüsselbund im Grün der Helios-Gruppe und gewährt Einblicke in den wohl wertvollsten Raum des gesamten Bereichs: Vor ihm tut sich eine scheinbar endlose Reihe von Regalen auf. Ohne eine Lücke zieht sie sich an den Wänden des Raumes entlang und bildet schmale Gassen. Wer pedantische Ordnung liebt, der scheint hier an der richtigen Stelle zu sein. Auf den Millimeter genau sind die Arzneimittel und Präparate hintereinander gereiht; streng getrennt nach Hersteller und Wirkung. In 360 Regalen lagern hier 135 000 Packungen mit 960 000 einzelnen Pillen, Ampullen und Fläschchen. Aber dazu später mehr.
Die richtige Temperatur der Medikamente
Zunächst fällt der Blick auf kleinere Details: In jeder Ecke hängt ein Thermometer, leise brummt eine Lüftung. „Wir schaffen es tatsächlich, die Temperaturen immer konstant zu halten“, erklärt Christian Augsten. „25 Grad sind genau der Punkt, bis zu dem sich unsere Medikamente halten.“ Er macht einen Schritt nach vorn und steht jetzt direkt vor einem Fließband. Auf beiden Seiten davon befinden sich Kartons, durchnummeriert und versehen mit der Station, die beliefert werden soll. Moment mal: Eisleben und Hettstedt? „Auch für diese Kliniken sind wir zuständig“, sagt Augsten. „Es ist durchaus üblich, dass Krankenhaus-Apotheken im Umkreis von 100 Kilometern Medikamente verteilen.“
Zwei seiner Kolleginnen laufen gerade die Regale ab. An einigen Ablagen leuchten grüne Lichter und Zahlen auf Displays. Das System teilt genau mit, wie viele Schachteln von welchem Präparat benötigt werden. Die Apothekerin legt sie aufs Fließband, das den Raum in U-Form durchmisst. Ein Automat prüft, ob alles stimmt. „Jedes Medikament hat bei uns seine eigene Signatur. Ähnlich wie in einer Bibliothek“, beschreibt Augsten. „Anders als öffentliche Apotheken beschriften wir nicht alphabetisch. Kommt ein neues Mittel ins Sortiment, erhält es die Kennung, die gerade frei ist.“ Er nimmt ein Schmerzmittel in die Hand; wohl wissend, dass es nicht Teil der heutigen Bestellung ist.
Auf dem grünen Fließband bewegt sich die kleine Schachtel innerhalb von Sekunden, bis sie einen 1,80 Meter hohen Scanner erreicht. Er lässt sie zunächst passieren. Doch am Ende der Strecke die Überraschung: Anstatt wie die bestellten Mittel gleich in den richtigen Karton zu fallen, wird die Packung aussortiert. Ganz automatisch. Wo liegt der Trick? „Unser Scanner hat praktisch von jedem vorrätigem Medikament ein Bild von drei Seiten im Kopf. Jeden noch so kleinen Unterschied erkennt er“, klärt der Apothekenleiter auf. Natürlich mussten seine Kollegen und er die Schachteln vorher fotografieren. „Wir haben also den Computer angelernt.“
Die Computer wissen alles.
Eine gute Viertelstunde ist vergangen. Die beiden Frauen haben ihre Arbeit beendet, die Kisten sollen gleich verteilt werden. Im Nebenraum bearbeitet eine Mitarbeiterin gerade Rezepte, doch große Papierstapel fehlen. Auch das ist ein Fortschritt der völlig digitalisierten Apotheke. Die Computer wissen alles. Nur eine Anlage an der Wand kündet von nostalgischem Charme: In der Helios-Klinik kommt immer noch Rohrpost zum Einsatz; geleitet durch ein komplexes System, das ebenfalls von Scannern kontrolliert wird. „Der Computer weiß immer genau, welche Rohrkapsel sich auf welcher Station befindet“, fügt Augsten im Gehen hinzu. Die Medikamente sind verteilt. Wieder nimmt er den Weg über den Flur.
Hinter der nächsten Tür riecht es nach Desinfektionsmittel. Eine Frau in blauem Kittel huscht vorbei. „Eine Apotheke ist immer auch Labor“, meint Christian Augsten. Doch um diese Zeit des Tages ist davon wenig zu sehen. Die Tische wirken unbenutzt und aufgeräumt, der Chemieschrank erinnert an den einer Schule. „Große Unterschiede gibt es da manchmal nicht“, lächelt der Chef. Im Labor dosieren seine Mitarbeiter vor allem die Medikamente für Kinder, denn nur wenige Mittel sind vom Hersteller her auf Größe und Gewicht der jungen Patienten eingestellt.
In einem anderen Raum bereitet eine Auszubildende Infusionen für Krebspatienten vor. Hinter einer versiegelten Bullaugen-Tür hantiert eine Apothekerin mit Haube und Mundschutz. Zutritt verboten, denn hier entstehen Medikamente für die Chemotherapie. „Die Luft dort drinnen ist völlig sauber und keimfrei“, so der Apothekenleiter, für den es jetzt nur noch eine Tür zu öffnen gibt. Dahinter wartet die „Olsenbande“. Drei Tresore tragen Aufkleber mit den Namen der berühmten Film-Ganoven Benny, Kjeld und Egon. „Die Schilder waren schon immer da“, erzählt Augsten. „Durch sie behalten wir den Überblick.“ Im Bauch der drei „Gangster“ stehen Substanzen, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, unter strengstem Verschluss. Schnell versiegelt der Apotheker den Schrank. (mz)


