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Interview mit Psychiater Dr. Thomas Schwaiger Interview mit Psychiater Dr. Thomas Schwaiger: So gehen Sie mit Weihnachtsstress um

25.12.2016, 08:00
Dr. Thomas Schwaiger
Dr. Thomas Schwaiger Klinik

Sangerhausen - Weihnachten ist nur ein Fest der Liebe? Von wegen. Die Feiertage sind für manchen Zeitgenossen eine ziemliche Herausforderung und mit viel Stress verbunden. Tipps, wie man die Feiertage etwas relaxter angehen kann, gibt Dr. Thomas Schwaiger natürlich seinen Patienten mit auf den Weg. Geeignet sind sie aber auch für alle anderen Weihnachtsgestressten. Der 52-jährige gebürtige Niedersachse leitet seit 2009 als Chefarzt die psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachbereiche der Helios-Kliniken Hettstedt und Sangerhausen. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie hat in Hannover studiert, ist verheiratet und hat vier Kinder. Die Fragen stellte Redakteurin Beate Thomashausen.

Bedeutet Weihnachten mehr Arbeit für die Psychologen und Psychiater in der Helios-Klinik? Werden mehr Patienten aufgenommen?

Dr. Thomas Schwaiger: Das Weihnachtsfest ist ein hochemotionales Fest, das von den Mitarbeitern der Stationen, Tageskliniken und Ambulanzen gemeinsam mit den Patienten vorbereitet werden muss. Insgesamt werden aber nicht mehr Patienten als an anderen Tagen in der Klinik aufgenommen.

Bereiten Sie Ihre Patienten besonders auf die Feiertage vor?

Schwaiger: Ja, dies betrifft insbesondere die Planung des Weihnachtsfestes sowie des Jahresüberganges. Gemeinsam wird geguckt, wie die Patienten die Tage geplant haben und mit wie vielen Freunden und Verwandten sie jetzt zusammen sind. Letztendlich geht es um die Frage, wie viele soziale Kontakte an den Feiertagen stattfinden. Es muss geklärt werden, ob es mögliche Konfliktthemen gibt. Neben zu wenig Kontakten ist oftmals auch die zu große Nähe ein Problem. So viel Zeit auf so engem Raum verbringen die Familien und Verwandten häufig das ganze Jahr nicht miteinander. Jeder sollte da für sich für Entspannungs- und Rückzugsmöglichkeiten sorgen. Für Patienten mit einer Alkoholabhängigkeit sind oftmals nicht die Feiertage, sondern die Adventszeit mit den Weihnachtsmärkten ein großes Problem. Das nächste Problem tritt auf, wenn die Patienten nach dem Fest wieder allein sind und wenn möglicherweise dann der Suchtdruck wieder ansteigt. Hier erarbeiten wir gemeinsam einen Notfallplan.

Viele Menschen lassen sich an den Feiertagen unter Druck setzen. Haben Sie diese Beobachtung auch gemacht? Wie lässt sich Druck herausnehmen?

Schwaiger: Durch fantasierte oder reale Anforderungen, die entweder von Anderen oder die an sich selbst gestellt werden, lassen sich viele Menschen vor und während der Feiertage unter Druck setzen. Einige stellen sehr hohe Anforderungen an sich selbst und wollen das perfekte Fest auf die Beine stellen. Ich habe zum Beispiel eine Patientin, die an Weihnachten für jeden Gast ein eigenes Gericht kocht, weil sie es allen recht machen will. Nur auf sich selbst achtet sie nicht. Für uns Psychiater und Psychotherapeuten bedeutet dieses, dass wir gemeinsam mit den Patienten erarbeiten, wie sie besser mit diesem Druck umgehen können.

Hierbei wenden wir häufig Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie an. Wir fordern unsere Patienten auf, sich selbst zu hinterfragen: Muss man daran festhalten, während der Feiertage alle Verwandten zu sehen? Muss ich es immer allen recht machen, es mir damit aber schlecht geht? Müssen alle alten Traditionen, auch wenn sie belastend sind, befolgt werden? Diese Fragen kann sich natürlich auch jeder einmal stellen, der sich durch Weihnachten gestresst fühlt. Die Betroffenen müssen lernen, wie sie Aufgaben delegieren können. So können zum Beispiel Eltern auch die Kinder an der Gestaltung des Festes beteiligen und die Aufgaben verteilen. So sind alle in die Vorbereitungen eingebunden und haben im besten Falle auch Spaß daran.

Weihnachten gilt gemeinhin als Fest der Familie. Was können Alleinstehende tun, damit sie sich nicht einsam fühlen?

Schwaiger: Für Alleinstehende können die Weihnachtstage zum Problem werden, weil sie keinen anderen mitmenschlichen Kontakt haben. Vor und nach Weihnachten gibt es viele öffentliche Veranstaltungen, die auch Alleinstehende besuchen können, Heiligabend und an den Weihnachtsfeiertagen selbst gibt es nur sehr wenige. Eine Möglichkeit ist es, sich mit Freunden, soweit diese nicht anders eingebunden sind, zu verabreden. Man kann auch ein Krippenspiel oder einen Gottesdienst besuchen. Dort kommt man unter Menschen und findet Anknüpfungspunkte für ein Gespräch. In den Gesprächen mit unseren Patienten vor dem Weihnachtsfest ist es die Aufgabe der Behandler zu prüfen, wie lang beziehungsweise kurz der Abstand zwischen zwei Gesprächen sein muss und darf. Sinnvoll ist auch die Erarbeitung eines Notfallplans, damit die Patienten wissen, an wen sie sich wenden können, wenn es ihnen schlechter geht.

Auch wer in der Familie lebt, hat ja Weihnachten so seine Probleme. An Feiertagen ist die Familie so nah beisammen. Das birgt mitunter auch Konfliktpotenzial. Wie vermeidet man die große Krise zum Fest?

Schwaiger: Wenn die Familie so nah beieinander ist, wie an den Tagen des Weihnachtsfestes, können daraus Probleme erwachsen. Zunächst muss bei den Menschen ein Problembewusstsein für schwierige Situationen entstehen. Aufgrund der Vorerfahrung hat jeder eine Ahnung, was beim Weihnachtsfest passieren kann und wie die Probleme entstehen. Konfliktsituationen müssen zunächst als solche wahrgenommen werden. Dies kann durch eine achtsame, beobachtende Haltung erfolgen.

Oftmals „kochen“ Emotionen durch einen zu hohen Alkoholkonsum hoch. Der Alkoholkonsum beeinträchtigt in der Folge die Steuerungsfähigkeit. Wenn man weiß, dass es bei Familienfeiern durch zu viel Glühwein oder Wein zu Streit kommen kann, wäre ein entsprechender Umgang mit alkoholischen Getränken ratsam. In Gesprächen sollten Konfliktthemen vermieden werden. Mit den Patienten können Kommunikationsregeln besprochen und verabredet werden. Wichtig ist, dass die Patienten wissen, dass sie konflikthafte Situationen im Sinne einer „Auszeit“ auch verlassen können.

Mit nahestehenden Angehörigen können Stopp-Signale vereinbart werden, damit diese den Betroffenen ein Zeichen geben, wenn der Stresspegel und die Anspannung durch das Gespräch zu hoch werden. Wichtig ist die Einsicht, dass man nicht den ganzen Tag gemeinsam miteinander verbringen muss. Auszeiten sind wichtig. Unterbrechen Sie die Familienfeier mit einem Spaziergang. Es sollte auch einen Weihnachtstag geben, an dem es entspannt und ruhig zugeht. Auch zum „chillen“ muss Zeit eingeplant werden. Für unsere Patienten ist die Erstellung eines Notfallplanes für Krisen wichtig.

Wie feiern Sie selbst Weihnachten?

Schwaiger: Ich verbringe das Weihnachtsfest gemeinsam mit meiner Familie. Nach dem morgendlichen Einkauf wird das Weihnachtsessen gemeinsam mit den Kindern vorbereitet. Nachdem die Kinder ihren Chorauftritt in der Kirche absolviert haben, beginnt der Heiligabend mit gemeinsamem Singen und Musizieren von Weihnachtsliedern. Nach der Bescherung wird ein traditionelles österreichisches Weihnachtsessen in Form eines Kalbsschnitzel serviert. Am ersten Weihnachtstag besuchen wir Verwandte, am zweiten Weihnachtstag findet am späten Vormittag ein Brunch statt. (mz)

Stress in der Weihnachtszeit - auch beim Geschenke kaufen. Alles muss perfekt sein. Und wenn nicht, dann fangen die Probleme an.
Stress in der Weihnachtszeit - auch beim Geschenke kaufen. Alles muss perfekt sein. Und wenn nicht, dann fangen die Probleme an.
Peter Wölk