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„Der Bundestag ist eine Schule“ Interview mit Ingo Bodtke (FDP): Wie er den Alltag in der Regierung sieht

Mehr als die Hälfte der Legislaturperiode im Bundestag ist vorbei. Abgeordneter Ingo Bodtke (FDP) zieht Zwischenbilanz. Wie er den Alltag in der Ampel sieht und was er erreicht hat.

04.02.2024, 16:00
Ingo Bodtke zog im Herbst 2021 erstmals in den Bundestag ein.
Ingo Bodtke zog im Herbst 2021 erstmals in den Bundestag ein. (Foto: FDP)

Wimmelburg/MZ - Ingo Bodtke (FDP) zog bei der Bundestagswahl am 26. September 2021 erstmals in den Bundestag ein. Im Gespräch mit MZ-Chefreporter Joel Stubert erläutert er, wie seine Zwischenbilanz ausfällt, welchen Einfluss man als Abgeordneter überhaupt hat und warum die Ampel aktuell so schlecht dasteht.

Herr Bodtke, Sie sind seit mehr als zwei Jahren Mitglied der Ampel, die schlechte Umfragewerte genießt. Wie erklären Sie sich das?

Ingo Bodtke (58): Das ist schwierig. Zunächst gibt es Ausschüsse, da klappt die Zusammenarbeit gut, in anderen sind die Unterschiede sehr groß. Von den Grünen zur FDP ist es schon ein breites Spektrum. Und diese Uneinigkeit macht uns Probleme. Bei mir im Landwirtschaftsausschuss ist die Kluft auch recht groß und es ist manchmal auch schmerzlich, miteinander zu arbeiten. Und es ist schwierig, dort Ergebnisse zu erzielen.

Haben Sie ein Beispiel?

Ingo Bodtke: Wir haben vor einigen Wochen ein Ergebnis erzielt, auf das ich stolz bin. Und zwar zum Glyphosat. Wir haben das Verbot ab 1.1.2024 wieder aufheben können. Und das auch, weil wir unseren Minister dazu bewegen konnten, sich in der EU zu enthalten, sonst wäre es für immer in ganz Europa verboten worden. Und da es noch immer keine Mehrheit gab, gab es eine Fachentscheidung, und die hieß „Ja“. Unsere Weinbauern hätten sonst zu 80 Prozent aufgeben müssen.

Wie sehen Sie persönlich Ihre Arbeit seit Beginn der Legislatur? Welche Note würden Sie sich geben?

Ingo Bodtke: Das ist auch schwierig. Man wird ja immer von Dritten benotet. Dass die Note dann nicht gut ausfällt, das ist klar. Das kann ich sogar verstehen. Wenn es keinen Krieg in der Ukraine gegeben hätte, der viel Geld bindet und letztlich zu deutschem Egoismus führt, da uns nun Geld fehlt, sähe es vielleicht anders aus. Vorher wurde die oftmals nicht so tolle Politik mit viel Geld zugeschüttet. Dadurch war das Empfinden nicht so. Das geht nicht mehr. Wir müssen den Gürtel enger schnallen und das ist eben schwierig. Es ist aber die Frage, wie man es tut, und da sind wir manchmal etwas ungeschickt. Man sieht es ja an den Landwirten. Subventionen abzubauen, ist aus FDP-Sicht immer begrüßenswert, nur es so zu machen wie jetzt, dass sie sich darauf nicht vorbereiten können, ist schwierig.

Warum konnten Sie das im Landwirtschaftsausschuss nicht verhindern?

Ingo Bodtke: Weil wir es im Ausschuss nicht entscheiden konnten. Das wurde ganz oben entschieden.

Wie würden Sie den „politischen Alltag“ in der Ampel beschreiben?

Ingo Bodtke: Es ist eine Dreierkoalition und da gibt es deutlich unterschiedliche Ansätze. Zwei der Fraktionen sind so, dass sie sich an den fachlichen Gegebenheiten orientieren und eine Fraktion ist idealistisch unterwegs. Beispiel Atomkraft: Die kaufen wir nun woanders her, von deutlich schlechteren ausländischen Kraftwerken. Oder Ernährung: Wir haben hier in Mitteleuropa in Sachsen-Anhalt Forschungspotenzial für genoptimierte Pflanzenzucht und gerade afrikanische Länder bitten darum, um im Klimawandel überhaupt noch was anzubauen. Wir beide bringen Fachleute und Professoren mit zu den Anhörungen und die Grünen bringen NGOs mit. Da platzt mir manchmal der Helm.

Haben Sie das so erwartet?

Ingo Bodtke: Nein, der Unterschied ist gravierend. Wir haben ja auch im Kreistag schon pragmatische Vorschläge gemacht und wie beim Schloss Roßla und dem InnoHub eine Mehrheit bekommen. Dort wird in der Sache entschieden, das passiert eben in Berlin nicht.

Zurück zu Ihrer Note...

Ingo Bodtke: (Überlegt) Ich gebe alles, was ich kann und habe mich erwischt, dass ich ein schlechtes Gewissen hatte, weil ich 22 Uhr ins Hotelzimmer gefahren bin. Ich arbeite 14 bis 16 Stunden am Tag, auch am Wochenende und fahre durch ganz Sachsen-Anhalt, um mir die Sorgen und Nöte der Bevölkerung anzuhören. Ich gebe meine besten Kräfte.

Ist es nicht enttäuschend, dass der ganze Ampel-Zwist den Eindruck wieder kaputt macht?

Ingo Bodtke: Im Großen und Ganzen gehts. Die Breite des Konflikts kann nur zum Kompromiss führen. Die Grünen haben ganz schön viel Unsinn im Kopf, und alles was an Unsinn verhindert wird, gelangt ja nicht nach draußen. Und bei der SPD gibt es solche, mit denen man gut zusammenarbeiten kann, aber auch solche, die die Grünen politisch links überholen wollen. Das führt zu einer Übergewichtung der Grünen.

Ist die FDP also die Opposition in der Regierung?

Ingo Bodtke: Ja, schon. Wir können zumindest vieles verhindern.

Würden Sie nochmal in die Ampel reingehen?

Ingo Bodtke: So wie ich es heute einschätze, ging es damals nicht anders. Und: Man kann nicht zweimal hintereinander Nein sagen. Und jetzt müssen wir das Beste draus machen. Auch die CDU wäre nicht besser, denn die Gesamtsituation ist wie sie ist.

Schauen wir mal in den Wahlkreis. Was haben Sie für den Wahlkreis bisher erreicht?

Ingo Bodtke: Der Wahlkreis spielt für mich tatsächlich eine untergeordnete Rolle, bitte nicht falsch verstehen. Aber ich bin für ganz Sachsen-Anhalt unterwegs, da wir nur zwei Abgeordnete sind. Ich bin froh mit dem, was ich im Landkreis Mansfeld-Südharz erreicht habe. Vielleicht wird die Stimme als Bundestagsabgeordneter mehr gehört – wie beim InnoHub Holz, was mein Vorschlag war. Da haben wir vier Millionen Euro gespart und ein bestehendes Gebäude genutzt, das auch unabhängig vom InnoHub genutzt werden kann. Auch die Königshalle Tilleda ist ein großer Erfolg. Diese Idee habe ich als Abgeordneter immer weiterverfolgt und wir haben 2,5 Millionen Euro bekommen, um ein europaweites Denkmal aufzubauen.

Sie haben vor der Bundestagswahl behauptet, sich vor allem für die Wirtschaft einzusetzen. Ist Ihnen da eine Stärkung gelungen?

Ingo Bodtke: Ja, ich konnte auf der letzten Rille noch eine bereits gestrichene Förderung für Leuna zur Erforschung von synthetischen Kraftstoffen mit einem Volumen von 130 Millionen für die Region retten.

Sind Sie mit größeren Erwartungen ins Abenteuer Bundestag gegangen als Sie jetzt haben?

Ingo Bodtke: Nicht wirklich. Wir wissen ja alle wie Politik ist, wenn man es schon länger macht. Es ist eher spannend, dass man dann noch die Folgen von den Folgen bedenkt und wie tief man in die Sache reingeht. Ich werde im Land als Allheilmittel wahrgenommen, als der, der alles klären kann. Im Bundestag bin ich bei der FDP der Landwirtschafts- und Ernährungsmann, der für Tierwohl und internationale Ernährung und alles, was dazugehört, zuständig ist. Das füllt einen voll aus. Für andere Themen hat man dann leider kaum noch Zeit.

Haben Sie sich das Wissen aneignen müssen?

Ingo Bodtke: Ich habe Fleischer gelernt und bin Ingenieur für Fleischereiwirtschaft und war dann bei der Tierzucht und Chef der Besamungstechniker. Ich habe auch nie den Kontakt zur Landwirtschaft verloren. Das hilft am Anfang, aber man muss da so tief rein, dass ich jeden Tag dazu lerne. Der Bundestag ist wie eine Schule. Ich sage immer, ich habe im Bundestag in den letzten zwei Jahren so viel gelernt wie in allen Jahren zuvor.

Kann man als Bundestagsabgeordneter denn zum Beispiel helfen, den Kreisumlage-Streit in MSH zu lösen?

Ingo Bodtke: Meine Aufgabe kann nur sein, auch im Bund bei meinen Kollegen dafür zu sorgen, dass die wissen: Es gibt ländliche Räume, wo die Einnahmesituationen nicht so gut ist und die müssen wir stärken.

Warum muss in einem so reichen Land eine Kommune darüber nachdenken, ob sie entweder Schulsozialarbeit oder Spielplätze finanziert?

Ingo Bodtke: Genug Geld haben wir ja irgendwie doch nicht. Das Kernproblem ist der Bürokratismus. Der führt dazu, dass es viele Stellen gibt, die nicht produktiv sind. Und Beamtentum ist auch ein Problem. Leute, die verbeamtet sind, nehmen sich auf einmal mehr Freiheiten. Wir haben so einen Wasserkopf in Deutschland, der uns ausbremst.

Und Sie könnten das ja ändern, Sie sind ja in der Regierung.

Ingo Bodtke: Ne, kann ich nicht. Und das ist wirklich schon frustrierend. Weil: Wenn man mit Abteilungsleitern einer Behörde redet, sagt der sinngemäß: „Wer unter mir Bundeskanzler ist, ist mir egal.“ Es hat sich so verselbstständigt, dass es schwierig wird, das zu ändern. Und es gibt noch eine Situation im Staat, die mir immer klarer wird.

Welche meinen Sie?

Ingo Bodtke: Es gibt immer schwarze Schafe, die Unsinn machen. Also gibt es ein neues Gesetz, um dieses Problem zu beseitigen. Das schwarze Schaf findet eine Umgehung. Aber die anderen, die treu und richtig arbeiten, sind zusätzlich belastet.

Nochmal: Warum kann man das als Regierungspartei nicht ändern?

Ingo Bodtke: Weil es nur in der Koalition geht. Grüne und SPD sind eher für noch mehr Regulierung. Es ist also Teil des demokratischen Prozesses.

Zurück in den Wahlkreis: Wie kann man für den ländlichen Raum möglichst viel rausholen?

Ingo Bodtke: Das ist nur in spezialisierten Einzelfällen möglich. Bei Firmen schauen wir, welche Hilfen möglich sind. Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, dass sich die Firmen selbst entwickeln können. Und im öffentlichen Raum gehts darum, Fördermittel zu finden.

Auf der Suche nach weniger Ausgaben werden häufig Einsparungen beim Bürgergeld oder Zuwanderung genannt, wie sehen Sie das?

Ingo Bodtke: Das, was mit dem Bürgergeld passiert, halte ich nicht für zielführend. Wer wirklich nicht arbeiten kann, soll etwas bekommen. Aber wer es sich in der sozialen Hängematte bequem macht, der soll nicht finanziert werden. Die Zuwanderung in das Sozialsystem muss auch begrenzt werden.

Letzter Versuch: Wie würden Sie sich benoten?

Ingo Bodtke: (überlegt lange): Schwierig. Habe es noch nicht einmal geschafft, mir das Stadtschloss in Berlin anzugucken. Das heißt, ich gebe alles. Vielleicht eine 1 minus. Ich mache ja auch Fehler. Aber ich wäre enttäuscht, wenn ich eine drei bekommen würde.