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Blick zurück ins Jahr 1945 Historiker forschen zur Räumung der Heimkehle bei Uftrungen kurz vor Kriegsende

Anfang April 1945 wurden Hunderte Häftlinge vom Südharz aus auf Todesmärsche gezwungen. Die Gemeinde Südharz plant eine Gedenkveranstaltung, und es wird ein Buch erscheinen.

Aktualisiert: 23.03.2025, 19:45
Die Reproduktion eines Fotos, das in der unterirdischen Rüstungsfabrik in der Heimkehle bei Uftrungen heimlich aufgenommen wurde.
Die Reproduktion eines Fotos, das in der unterirdischen Rüstungsfabrik in der Heimkehle bei Uftrungen heimlich aufgenommen wurde. Foto: Repro/Heinz Noack

Uftrungen/MZ. - Der promovierte Historiker Michael Zerjadtke wird in Kürze mit weiteren Autoren ein Werk vorlegen, das sich mit der Geschichte der Heimkehle, insbesondere während der NS-Zeit, befasst. Seit 2019 ist Zerjadtke als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg tätig und seit September Feodor-Lynen-Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung an der University of Virginia in Charlottesville. Im Gespräch mit Reporterin Helga Koch begründet er, warum die Geschichte der Heimkehle noch lange nicht auserzählt ist.

Herr Zerjadtke, welche persönliche Beziehung haben Sie zur Heimkehle und deren Geschichte?

Der Historiker Michael Zerjadtke
Der Historiker Michael Zerjadtke
Foto: Zerjadtke

Michael Zerjadtke: Als gebürtiger Uftrunger bin ich schon von Kind auf mit der Heimkehle vertraut und seit der Schulzeit interessiere ich mich für Geschichte. Nach dem Abitur habe ich allerdings unter anderem antike Geschichte studiert und die Heimkehle aus den Augen verloren.

Seit wann beschäftigen Sie sich mit der Geschichte der Höhle, gibt es neue Erkenntnisse?

Mein Interesse für die Ortsgeschichte ist seit Corona neu erwacht. Den ersten Sommer habe ich nicht in Hamburg, sondern bei meinen Eltern in Uftrungen verbracht und währenddessen begonnen, die Heimat neu zu entdecken. Ohne die Anleitung und die Vorarbeit meines Vaters wäre das nicht möglich gewesen. Er hat über Jahrzehnte Literatur und Quellen gesammelt, sortiert und sich einen unerschöpflichen Wissensschatz angeeignet. Darauf konnte ich aufbauen.

In den gesammelten Dokumenten fanden sich viele Neuigkeiten über die Erschließung der Heimkehle und die Geschichte vor dem Zweiten Weltkrieg. Zudem konnten ich bei meinen Recherchen interessante Dokumente im Archiv in Dora und anderswo ausfindig machen, die neue Einblicke in die Geschichte des Kriegsendes im Thyratal ermöglichen. Diese hängen nicht immer direkt mit dem KZ in Rottleberode beziehungsweise der Heimkehle zusammen, aber vervollständigen das Bild.

Wie ist die Idee entstanden, eine Broschüre herauszugeben?

Nachdem im Frühjahr 2024 der Ortsbürgermeister von Uftrungen, Ralf Götze, die Idee geäußert hatte, den 80. Jahrestag des Kriegsendes mit einer Gedenkveranstaltung zu würdigen, schlug ich vor, auch ein Heft zusammenzustellen. Es gibt keine eigenständige Publikation über die Heimkehle, die für interessierte Besucher oder Anwohner als Informationsquelle dienen kann. Zudem sind die älteren Bücher über die Region im Dritten Reich immer schwerer erhältlich. Etwas Gedrucktes kann auch noch in den kommenden Jahren verkauft werden und steht vielleicht für Jahrzehnte in den Regalen. Somit wird das Gedenken über längere Zeit gepflegt, wenn die Erinnerung an die Gedenkveranstaltung selbst schon verblasst sein sollte.

Welchem Thema widmen Sie sich selbst, warum?

Ich habe die Einleitung geschrieben, in der ich hauptsächlich auf die bisherigen Forschungen zur Heimkehle und zur Geschichte des Thyratals eingegangen bin. Weiterhin habe ich einen Beitrag über die Erschließung der Heimkehle und die Übernahme durch die SS und die Junkers-Werke verfasst. Diese Themen waren durch die Sammlung meines Vaters von Quellen und Büchern sowie dessen Vorarbeiten gut zugänglich. Da ich kein Neuzeithistoriker bin, wollte ich die unmittelbar mit dem KZ selbst zusammenhängenden Themen den Profis überlassen. Mit der Heimkehle selbst hatte sich bisher allerdings kein professioneller Historiker befasst, daher beschloss ich, mich diesem Gegenstand zu widmen.

Wen haben Sie als Autoren gewinnen können, zu welchen Schwerpunkten?

Es gelang mir, eine ganze Reihe hochkarätige Experten für das Vorhaben zu begeistern. Den generellen Überblick über die Einrichtung des KZ in Rottleberode im Rahmen der Untertageverlagerung der Rüstungsproduktion verfasste der Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner. Die gebürtige Nordhäuserin Anett Dremel, bis vor kurzem als Historikerin in der Gedenkstätte in Dora und jetzt in der Gedenkstätte Neuengamme bei Hamburg tätig, schrieb einen Beitrag über den Alltag im Lager von Rottleberode. Frank Baranowski, der bereits mehrfach über die Rüstungsproduktion im Harz publiziert hat, verfasste einen Artikel über das „Thyra-Werk“ in der Heimkehle.

Der Mediziner Philipp Kiosze, der vor wenigen Jahren eine Forschungsarbeit über die Gesundheitsversorgung der Häftlinge in Dora verfasste, hat über das gleiche Thema mit dem Schwerpunkt Rottleberode geschrieben. Andreas Froese, Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, beschreibt die Todesmärsche, auf die die letzten Häftlinge aus Rottleberode und Stempeda geschickt wurden. Der Leiter der Gedenkstätte Moritzplatz Magdeburg, die sich mit der politischen Verfolgung in der DDR befasst, hat einen Beitrag über die Verfahren gegen die Täter im Rahmen der Dora-Prozesse verfasst. Neben diesen wissenschaftlichen Artikeln wird eine Reihe von Berichten abgedruckt, in denen die Zeitzeugen selbst zu Wort kommen.

Sehen Sie weiteren Forschungsbedarf zur Heimkehle?

Die Geschichte der Heimkehle ist noch lange nicht auserzählt. Es gibt einige weitere Quellen aus der Zeit des Dritten Reiches, die aufgearbeitet werden müssten, doch vor allem die Zeit von der Sprengung durch die sowjetischen Truppen bis zur Wiedereröffnung ist bisher noch kaum beleuchtet worden. Auch die Erschließung bis in die 1920er Jahre ist noch unzureichend bekannt.

Wann und wo wird die Broschüre erhältlich sein?

Das Büchlein wird zur Gedenkveranstaltung erhältlich sein. Eine Anzahl an Exemplaren soll am 5. April 2025 im Rahmen der Vorstellung zum Kauf angeboten werden. Es wird von „Book on Demand“ verlegt und ist online über alle größeren Buchhändler zu erhalten. Darüber hinaus wird der Band dann auch im Informationszentrum der Heimkehle zu kaufen sein, eventuell in der Gedenkstätte Dora und hoffentlich bei einigen regionalen Buchhändlern. Ich werde versuchen, bei den Inhabern entsprechend Werbung zu machen.