Hilfsbereite Sangerhäuser Hilfsbereite Sangerhäuser: Obdachloser schläft nach 15 Jahren wieder im Bett

Sangerhausen - Andreas Hiksch formt auf seinem Teller mit dem kleinen Finger ein kleines Häufchen aus Brötchenkrumen und schiebt es dann erst auf seine rechte Hand und dann in den Mund. Der 57-jährige Sangerhäuser ist obdachlos und kann nicht anders. Auch, wenn er in einem Hotel sitzt und soeben ein großes Doppelbrötchen mit Salami und Schinken gegessen und zweieinhalb Tassen Kaffee getrunken hat.
Sonst undenkbar, denn an normalen Tagen gibt es vielleicht ein trockenes Brötchen oder einen Kaffee. An manchen Tagen bleibt Andreas Hiksch aber auch hungrig, denn er lebt auf der Straße.
Aber nun hat ihm Bernd Wernick aus Wimmelburg zur Weihnachtszeit vier Hotelübernachtungen besorgt. Es sind seine ersten Nächte unter einem festen Dach seit 15 Jahren. „Ja, ich habe gut geschlafen“, sagt Hiksch, der seinen grünen Strickpulli trägt und eine mitgenommene helle Jeans. Er hat die Nase eines Boxers, kommt aber alles andere als aggressiv daher, eher schüchtern. „Ich war noch nie in einem Hotel“, fügt er an. Sein Blick ist stark, seine Stimme etwas unsicher.
Andreas Hiksch ist obdachlos, täglich sitzt er an der Bushaltestelle in der Kylischen Straße
Viele Sangerhäuser haben ihn schon gesehen, täglich sitzt er an der Bushaltestelle in der Kylischen Straße. „Dass jemand mit mir redet, fehlt mir schon“, gibt er zu. Auf der Straße zu leben, war seine persönliche Entscheidung. Schule sei nicht so seine Sache gewesen, räumt er ein. Schon in der dritten Klasse machte er sich aus dem Staub. Später arbeitete er als Hilfsarbeiter beim Kraftfahrzeuginstandsetzungswerk und half bei den Reparaturen.
Doch das Leben ist kompliziert, Anträge und Adressen, die ganzen Dinge, die anderen Bürgern Halt geben, empfindet Hiksch als Ballast. Er genießt gewissermaßen seine Freiheit und nimmt dafür Einschränkungen in Kauf. Zwölf Euro habe er pro Tag zur Verfügung, Geld, das er sich jeden Tag beim Arbeitsamt abholt. „Das Geld zu bekommen, ist schön“, sagt er und lacht. Überhaupt lacht der 57-Jährige ziemlich oft.
Von dem Geld kauft er sich dann ein Brötchen oder andere Kleinigkeiten - ein bisschen legt er auch zurück für größere Ausgaben wie Friseurbesuche. Für Alkohol allerdings nicht. „Das finde ich auch gut, dass er kein Alkoholiker ist“, sagt Wernick. Einzig eine halbe Schachtel Zigaretten gönnt er sich am Tag. Bernd Wernick hatte die Idee, Andreas Hiksch in der Vorweihnachtszeit eine Übernachtung zu besorgen. Dank vieler Spenden sind es nun gar deren vier geworden.
Organisator Bernd Wernick holte den Obdachlosen Andreas Hiksch am Mittwoch ab und brachte ihn in eine Pension
Am vergangenen Mittwoch holte ihn Wernick dort ab, wo man ihn am ehesten findet - vor der Jacobikirche in Sangerhausen. Zuvor war er bereits in der Pension gewesen, um das Zimmer auf die Ankunft seines Schützlings vorzubereiten - einen Schokoladenweihnachtsmann stellte er ihm hin. Und dank vieler Spender konnte er den Kleiderschrank im Zimmer mit vielen teilweise neuen Kleidungsstücken füllen.
„Er sollte sich dort in aller Ruhe aussuchen können, was er wirklich braucht und was ihm passt“, sagt der Helfer, der sich mittlerweile ein wenig für Andreas Hiksch verantwortlich fühlt. „Komisch, ich merke mir sonst nie Zahlen, aber von ihm weiß ich alle Daten - von der Schuhgröße bis zum Geburtstag“, wundert sich Wernick über sich selbst.
Vor Jahren bereits war ihm der Sangerhäuser Obdachlose aufgefallen. Damals kroch dieser Mann zwischen Altkleidercontainern hervor. Dieser eine Moment ging Wernick nicht mehr aus dem Sinn. Aber erst in diesem Jahr sprach er Andreas Hiksch zum ersten Mal an. „Es hatte lange gedauert, bis er überhaupt wieder in ganzen Sätzen mit mir gesprochen hat. Wer redet denn auch sonst mit ihm?“, fragt Wernick.
Romy Schult und Heike Kundlacz von der Pension „Am Rosarium“ waren sofort bereit, Wernick bei seinem Vorhaben zu unterstützen
Der ruhig an der Bushaltestelle sitzende Mann ist kein Vergleich zu dem Mann, der im Frühstücksraum der Pension sitzt und mit Romy Schult und Heike Kundlacz scherzt. Die beiden Betreiberinnen der Pension „Am Rosarium“ waren sofort bereit, Wernick in seinem Anliegen zu unterstützen und spendeten selbst eine Übernachtung. „Wir sind ein offenes Haus für alle Menschen“, sagt Heike Kundlacz kategorisch, denn es habe durchaus Kritiken daran gegeben, dass sie sich an der spontanen Aktion beteiligen wollten.
Das kann auch Christina Fuß aus Polleben bestätigen, dass nicht alle Menschen so offen für die Hilfsaktion waren wie sie und ihre Nachbarin, die Fußpflegerin Constanze Vaupel. Die beiden Frauen meldeten sich nämlich bei Bernd Wernick, als dieser über die Mitteldeutsche Zeitung Unterstützer suchte.
Vaupel wollte dem Mann, dessen Füße durch das Leben auf der Straße arg strapaziert werden, eine Fußpflege angedeihen lassen. Und die Friseurmeisterin ist der Ansicht, dass man sich mit einem schönen Haarschnitt gleich wie ein anderer Mensch fühlt. Wernick sagte natürlich im Namen des Obdachlosen sofort zu. „Aber natürlich habe ich ihn erst gefragt, ob er das wirklich will. Ich will ihm ja nichts aufdrängen.“
Andreas Hiksch genießt es, als ihm die Friseurmeisterin die langen Haare wäscht und dabei die Kopfhaut massiert. Er genießt die Kopfwäsche genauso wie den Kontakt zu Menschen, die sich um ihn bemühen und mit ihm freundlich reden. Die Menschen sind nicht generell unfreundlich zu ihm auf der Straße. Und manchmal bekommt er vom einen oder anderen auch etwas Geld für Brötchen. Aber das war es auch schon an Konversation.
Strähne für Strähne fällt das dunkle Haar zu Boden. Zum Vorschein kommt ein 57-Jähriger mit einem Fassonschnitt. Und Bernd Wernick strahlt übers Gesicht und ist sich sicher: „Das wird nicht das letzte Treffen gewesen sein.“ (mz)


